Bürger, seid still! Keine Varianten bitte!

■ Das Bundeskabinett schafft Raumordnungsverfahren weitgehend ab

Berlin (taz) – Das Bundeskabinett beschloß am Mittwoch eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für JuristInnen. Künftig soll es für viele Kläranlagen, Brücken und Straßen kein Raumordnungsverfahren mehr geben. Nur wenn ein Projekt „raumbedeutsam“ ist, dürfen die verschiedenen Interessengruppen im Vorfeld der Planung noch ihre Meinung sagen. Aber auch dann soll es viel schneller gehen als bisher: Höchstens sechs Monate gesteht die Bundesregierung den Behörden für dieses Verfahren noch zu; bisher mußten dafür oft zwei Jahre veranschlagt werden. Der vom Bauministerium eingebrachte Vorschlag paßt die Verordnung dem im Mai 1993 in Kraft getretenen Investitionserleichterungs- und Wohnbaulandgesetz an.

Das in den 70er Jahren kreierte Raumordnungsverfahren hat den Sinn, verschiedene Varianten eines Projekts gegeneinander abzuwägen und die Interessenskonflikte im Vorfeld der konkreten Planung möglichst abzuflachen. Zweck der Übung: Das folgende Planfeststellungsverfahren, bei dem es dann nur noch um den favorisierten Standort geht, soll möglichst ohne gerichtliche Auseinandersetzungen durchgeführt werden können. „Die Neuerung wird zu einer Verhärtung der Positionen führen. Für Kritiker ist künftig nur noch der Rechtsweg offen“, prognostiziert Rudolf Petersen vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie. Ob Bauvorhaben also schneller durchgeführt werden können als bisher, so wie die Bundesregierung es sich vorstellt, ist somit zweifelhaft.

Die Behörden vor Ort sollen entscheiden, ob ein Projekt als „raumbedeutsam“ einzustufen ist. Als Kriterium hierfür haben die Politiker in Bonn einen Gummiparagraphen ersonnen: Es kommt darauf an, ob „die räumliche Entwicklung eines Gebiets beeinflußt wird“. Auch die konkrete Ausgestaltung des Raumordnungsverfahrens und das Maß der Öffentlichkeitsbeteiligung hierbei ist weiterhin Landessache. aje