Ich wollte ihn nicht studieren

■ Dani Karavan im Gespräch über seine Gedenkstätte für Walter Benjamin

Dani Karavan wirkt zierlich, müde blinzeln seine Augen unter der dunklen Schiffermütze hervor. Der Bildhauer wurde 1930 als Sohn eines Stadtplaners in Tel Aviv geboren. Mit 26 Jahren ging er nach Florenz, um die Kunst der Renaissance zu studieren. In Europa änderte sich sein Interesse an der Vergangenheit. Er hörte auf zu malen und baute Mahnmale. Zunächst nur für Israel: das Negev-Monument für die gleichnamige Brigade aus dem Unabhängigkeitskrieg wurde 1968 fertiggestellt. 1977 nahm er an der documenta teil, in diesem Frühjahr hat er in Nürnberg eine „Straße der Menschenrechte“ errichtet.

taz: Wer hat Sie mit der Gestaltung der Gedenkstätte beauftragt?

Dani Karavan: Vor fünf Jahren hatte mich Herr Scheurmann, Direktor der AsKI in Bonn, angerufen und gefragt, ob ich ein Denkmal für Walter Benjamin in Portbou bauen könne. Richard von Weizsäcker habe ihn um ein solches Projekt gebeten. Allerdings stünde nur wenig Geld zur Verfügung. Scheurmann hatte mich vorgeschlagen, weil er meine Arbeiten von der documenta6 kannte. Daraufhin fuhren wir zur Besichtigung nach Spanien, und ich entschied mich vor Ort, kein Denkmal, sondern eine Hommage an Walter Benjamin zu setzen, weil diese Form sehr viel besser zu dessen Werk passen würde als ein Monument. Es durfte nicht figurativ werden, kein Porträt oder ähnliches. Mir ging es nur um den Platz.

Ihre Skulpturen brechen mit dem öffentlichen Raum, etwa der Menschenrechtspfad aus Säulen in Nürnberg. Sind Sie in Portbou ebenso verfahren?

Nein, meine Arbeiten folgen keinem Schema. Ich schaue mir den Ort an und mache dann etwas damit. Bei Walter Benjamin war es noch ein wenig anders, da gibt es die ganze Geschichte der Person. Ich habe bei meinem ersten Besuch in Portbou mehrere Plätze aufgesucht, die für mich der damaligen Situation Benjamins zu entsprechen schienen. Zunächst gab es eine Art Plattform auf einem Hang oberhalb der Stadt. Das war ein wunderschöner Ausblick aufs Meer, hatte aber nichts mit der Person zu tun. Statt dessen entschied ich mich für eine Stelle am Friedhof. Dann sah ich bei meinem zweiten Aufenthalt ein Naturschauspiel unten am Meer, wo die Felsen zusammentreffen: einen Strudel – das Wasser dreht sich im Kreis, die Wellen schlagen darüber hinweg, und plötzlich ist alles wieder ruhig. Ich war davon so beeindruckt, daß ich die anderen zu mir rief und ihnen sagte, daß dies das eigentliche Denkmal für Benjamin sei, das Bild, indem seine Geschichte enthalten ist. Ich mußte also nur noch einen Weg finden, Menschen dazu zu bringen, diesem Phänomen zuzuschauen. Deshalb kam die Idee, einen Tunnel zu bauen, der hinunter zum Meer führt. Dort endet der schmale Treppenpfad an einer Glasscheibe, in die ein Text von Benjamin eingraviert worden ist.

Was steht darauf?

Ich weiß es gar nicht mehr so genau. Mir war es sehr viel wichtiger, bei meiner Beschäftigung mit der Arbeit keine Bücher von Walter Benjamin zu lesen. Ich wollte ihn nicht studieren. Es sollte vor allem aus dem Gefühl kommen, nicht aus dem Kopf. Später wurde mir von verschiedenen Seiten erzählt, daß ich genau den Kern seiner Philosophie – das Verhältnis von Zerstörung und Hoffnung – getroffen habe: Du gehst praktisch im Dunkel den Abhang hinunter und stehst dann plötzlich am Wasser, das sich bewegt und nie dasselbe ist. Auf dem Rückweg endet der Pfad an einer Steinmauer, direkt neben dem Friedhof, auf dem Walter Benjamin begraben liegt. Und niemand weiß wo.

Der Tunnel ist abstrakt in Stahl gehalten. Hat Sie dabei nicht doch Benjamins Idee des Ausdrucklosen in der Kunst gereizt?

Der zweite Teil der Arbeit hängt mit der konkreten Wahrnehmung des Ortes zusammen. Dort steht ein Olivenbaum, der mit dem Meereswind zu kämpfen hat. Dazu habe ich einen zweiten Baum an der Friedhofsmauer gepflanzt. Beide sind über Steinplatten zu erreichen. Das Ganze schließt mit einer Stahlterrasse ab, auf der ein schlichter Würfel angebracht ist, von dem aus Besucher alle Elemente der Installation überblicken können. Trotzdem ist kein objekthaftes Kunstwerk entstanden. Mir ging es darum, einen ruhigen Ort zu schaffen, von dem aus sich die Eindrücke wie von selbst erschließen. Die einzelnen Stationen fügen sich wie ein Ring zusammen, oder wie eine Passage.

Wobei die Natur zum öffentlichen Gedenkraum wird?

Wie gesagt, ich illustriere nichts, ich versuche nur, den Situationen eine Form zu geben. Von daher kann sich jeder frei darin bewegen und zugleich Teil eines konkreten Andenkens an Walter Benjamin sein. Es geht darum, sich zu erinnern und eben nicht zu vergessen. Das hat nichts mit Illustration oder Symbolik zu tun. Interview: Harald Fricke