Turners Lust - Hausmeisters Last

■ 100.000 Sportler fielen in Hamburg ein Von Turnfest-Korrespondent Kai v. Appen

Ungewöhnliche Töne in der Theodor-Haubach-Schule: In einem Klassenzimmer der Altonaer Grund- und Realschule hat eine TurnerInnengruppe aus Wißgoldingen, dem tiefsten Württemberg bei Schwäbisch-Gmünd, zwischen Tischen und Tafel ihre Schlafsäcke ausgerollt. „Wißgoldingen mit „hartem S“ oder „Dreierles-S“, wird den Nordlichtern in sattem Schwäbisch verklarstückt. Die Gruppe ist am Samstag in Ulm losgefahren. 740 SportlerInnen brachte der Sonderzug an die Elbe. Die WißgoldingerInnen sind TeilnehmerInnen des 29. Deutschen Turnfests, das gestern von Richard von Weizsäcker eröffnet wurde (s. Sportseite). Den gesamten Sonntag über trafen die insgesamt 100.000 TurnerInnen in der Elbmetropole ein und bezogen in Schulen und Campingplätzen Quartier.

Für Jörn Lübke, Hausmeister der Haubach-Schule, begann der Unterbringungs-Countdown allerdings schon 24 Stunden früher als erwartet. „Eigentlich sollten alle Teilnehmer am Sonntag morgen anreisen. Aber am Samstag standen bereits die ersten mit einem A auf dem Auto vor der Schule und wollten rein.“ - Das „A“ steht für „Austria“, und ÖsterreicherInnen stellen ungefähr die Hälfte der 185 Gäste, die Lübke in der kommenden Woche beherbergen wird.

Und betreuen, denn die ganze Organisation wird auf dem Haubach-Hausmeister lasten. „Die organisatorischen Sachen sollten eigentlich Leute der Hamburger Turn-Vereine übernehmen, die haben sich aber zurückgezogen.“ Also hat sich Lübke bereiterklärt, den Gastgeber zu spielen, eine Aufgabe, die planerisches Geschick erfordert. So müssen zum Beispiel Männer und Frauen unterschiedlicher Altersgruppen auf die Klassenzimmer verteilt werden: „Der älteste Gast ist 85 Jahre alt“, erzählt Lübke, „ich habe die älteren unten, die jungen im zweiten Stock untergebracht.“

Das Frühstücks-Buffet muß jeden Morgen pünktlich um 6.30 Uhr parat stehen. „Eigentlich sollten Wurst und Käse morgens frisch geholt werden“, so der Hausmeister. Da der Sponsor zwar den Aufschnitt, nicht aber das Personal, das diesen so früh herausreicht, zur Verfügung stellt, muß Lübke ihn nun doch schon am Vorabend abholen. „Es gibt auch Probleme mit den Brötchen. Die sollten morgens um halb vier angeliefert werden. Da ich aber bis Mitternacht die Schule offen halten muß, ist mir das ein bißchen früh – vier Stunden Schlaf brauch' ich nun auch.“

Den WißgoldingerInnen reichten die gestern nicht. Eine Athletin: „Die ganze Nacht haben wir Pari gemacht, jetzt müssen wir uns erstmal ausruhen, damit wir fit sind für die Turnermeile.“ Die jungen Frauen werden heute erstmals beim Wahl-Vier-Wettkampf antreten – Wahldisziplinen wie 100-Meter-Lauf, Seitpferd, Barren oder Trampolin. Ihre männlichen Mitstreiter wollen sich im Neun-Kampf probieren. Dazu gehören diverse Turn-Übungen, Leichtathletik-Disziplinen und Schwimmen, Tauchen und Turm-Springen. Auch beim Jazztanz wollen die Wißgoldingerinnen auftrumpfen: „Wir sind eben ein aktiver Turngau.“

Drucksen bei den Männern, Kichern bei den Frauen, als das Wort „Reeperbahn“ fällt. „Bloß nicht schreiben .... Leider gab es keine Karten mehr für das Phantom oder Cats - aber für 100.000 Leute...“ Das „Schmidts“ als Alternative? „Davon haben wir schon gehört,“ erwidert eine Turnerin. Corny Littmanns Fernseh-Show war im Süden wegen der Sex-Witze nicht ausgestrahlt worden. Der Schwaben-Kommentar: „Wir sind eben ein etwas konservatives Ländle.“