Ein Quereinstieg an die Spitze

■ Gesichter der Großstadt: Die ehemalige Kreuzberger Baustadträtin Franziska Eichstädt-Bohlig ist Spitzenkandidatin von Bündnis 90/Grüne für den Bundestag

Als Franziska Eichstädt-Bohlig vor dreieinhalb Jahren als AL- nahe Kreuzberger Baustadträtin zurücktrat und wieder Geschäftsführerin bei der Stadtentwicklungsgesellschaft Stattbau wurde, stanken ihr das „absurde Bezirkstheater“ und der „machohafte Umgangsstil einiger Bezirkspolitiker“. Also nie wieder Parteipolitik? Doch, aber nicht auf Bezirks- oder Landesebene, sondern etwas weiter weg, in Bonn: Franziska Eichstädt-Bohlig wurde vor zwei Wochen von Bündnis 90/Grüne als Spitzenkandidatin für den Bundestag gekürt.

Als „Quereinsteigerin“, wie sie sich selbst bezeichnet, gleich die Nummer eins zu werden, findet die 52jährige „witzig“, denn ihre Kandidatur war eher „zufällig“ als von langer Hand geplant. So wurde die Stadtplanerin und Architektin erst vor einem Jahr Mitglied, denn zu Parteien habe sie immer „eine gewisse Distanz“ gehabt.

Vielleicht hat diese Abneigung etwas mit ihrem Elternhaus zu tun: Für ihren Vater, der genauso wie ihr Großvater ebenfalls Architekt war, sei Politik immer „das Böse schlechthin“ gewesen. Und eigentlich wollte sie als Jugendliche lieber Tänzerin werden, genauso wie ihre Mutter. Daraus wurde aber nichts, und so tänzelte die gebürtige Dresdnerin, die in Bayern und Nordrhein-Westfalen aufwuchs, 1963 nach Berlin, um ihr Architekturstudium zu beenden.

Im quirligen Berlin wurde sie vom politischen Aufbegehren der Studentenbewegung mitgezogen. Sie stürzte mit ihren KommilitonInnen den erzreaktionären Asta an der Technischen Universität (TU) und brachte frischen Wind in die konservative Hochschulpolitik. Nach dem Diplom jobbte sie in Architektur- und Planungsbüros, bevor sie als Assistentin an der TU über die Berliner Wohnungspolitik arbeitete.

Die Theorie mit der Praxis zu verbinden war Franziska Eichstädt-Bohlig, die mit dem Architekten Wulf Eichstädt verheiratet ist und zwei Söhne hat, schon damals sehr wichtig: Als Mitbegründerin von Stattbau fungierte sie Anfang der achtziger Jahre als Vermittlerin zwischen Senat und BesetzerInnen. Zwölf Kreuzberger besetzte Häuser, unter anderem der berühmte Block 103 am Heinrichplatz, nahm Stattbau als Sanierungsträger unter seine Fittiche – zum Teil gegen heftigen Protest der BesetzerInnen. „Ich symbolisierte für die Leute den Sündenfall, daß man die Revolution beendet hat“, erinnert sich Franziska Eichstädt-Bohlig mit leicht spöttischer Miene. Ihr sei von den BesetzerInnen vorgeworfen worden, daß sie „befrieden“ wolle, aber das sehe sie positiv. Stadterneuerung sei eben reformistisch, denn: „Bauen ist niemals oppositionell, sondern hat immer zum Ziel, daß die Leute in ihren Wohnungen zufriedener werden.“

Auch 1989 als Kreuzberger Baustadträtin – 17 Monate war sie im Amt – war sie immer wieder heftiger Kritik ausgesetzt, diesmal aber von der anderen Seite. Die CDU beschuldigt sie der „Vetternwirtschaft, unseriöser Amtsführung und notorischer Untätigkeit“. Mehr Wohnungen soll sie in Kreuzberg bauen lassen, so die CDU-Schelte. Doch das „hektische Vollstopfen Kreuzbergs“ sei nicht sinnvoll, kontert die Stadträtin, statt dessen müsse mit Freiflächen behutsam umgegangen werden. Auch die SPD hat mit der energischen Frau Probleme. „Die SPD war während meiner Amtszeit krankhaft bemüht, mir am Zeuge zu flicken und wichtige Projekte zu verhindern“, resümiert sie heute. Als sie dann schließlich wegen einer von CDU und SPD verhinderten Erweiterung einer Grundschule zurücktritt, wird ihr von einigen ihrer eigenen Parteimitglieder „Dünnhäutigkeit und ein „zu schwaches Nervenkostüm“ attestiert.

Wenn sie heute mit der Kritik von damals konfrontiert wird, dann wirkt die frischgewählte Berliner Nummer eins für den Bundestag ganz gelassen: „Darüber kann ich nur grinsen.“ Deshalb betont sie vielleicht besonders oft, daß sie in Bonn „hart an die Grenze gehen“ möchte. „Radikale Reformpolitik“ ist ihre Devise, sie fordert die Begrenzung der Bodenpreise und möchte die Diskussion um eine Stärkung des zweiten Arbeitsmarkts vorantreiben. „Das sind alles absolute Tabus“, ist sie sich sicher, und die zu knacken sei das Radikale an ihrer Politik. Real sei dagegen, daß es ihre Politikansätze schon alle irgendwann einmal gab, entweder als Gesetz, „aber zumindest auf dem Papier“. Und auch wenn sie, falls es zu einer rot-grünen Koalition kommen sollte, von der SPD und Scharping „keine große Umarmung“ erwartet, ist sie gespannt, wie viele ihrer Inhalte sie durchsetzen kann, „schließlich habe ich ich einen langen Atem und bin zäh“. Julia Naumann