Der Aufstand der Erniedrigten

DFB-Pokalfinale: Werder Bremen – Rot-Weiß Essen 3:1 / Nach verschlafenem Beginn spielten Essens künftige Amateure groß auf  ■ Aus Berlin Matti Lieske

Nicht einmal vor den Berliner Polizeikräften machte der (selbst)gerechte Zorn der Essener auf den Deutschen Fußball-Bund (DFB) halt. Mit wohlwollender Duldung prangte auf einem der vielen grün-weißen Fahrzeuge vor dem ausverkauften Olympiastadion ein eigentlich ziemlich vernünftig anmutender Vorschlag zur Revolutionierung des deutschen Fußballs: „Helge Schneider für Egidius Braun“. Wo sie gingen, standen und tranken, funktionierten die Fans von Rot-Weiß Essen das Pokalfinale in Berlin zu einem gigantischen Tribunal gegen den DFB und seinen Präsidenten um.

Seit die „hirnlosen Juristen“ (Franz Beckenbauer) des allgewaltigen Verbandes den Klub wegen mittelschwerer Schummelei in die Niederungen der Amateurklasse hinabstießen, kämpfen die Essener tapfer an der Seite des Kaisers und der Bunten Ligen für Freiheit und Glück im Kickerwesen. Seit neuestem tun sie dies sogar mit dem Segen des Papstes, nachdem Rot- Weiß die Ehrenmitgliedschaft in jener Bunten Liga Aachen angenommen hat, die ein anderes Ehrenmitglied, Johannes Paul II., in sein Gebet einzuschließen versprochen hat.

Doch es galt in Berlin nicht nur, den DFB zu schmähen, sondern auch einen Pokal zu gewinnen, und zwar pikanterweise gegen den Bundesligavertreter der Stadt, in der zu Pfingsten der deutsche Meister der DFB-verächtenden Alternativfußballer ermittelt wird, gegen Werder Bremen. Die Bremer, Stammgäste im Pokalfinale, hatten in diesem Jahr so ziemlich alles vermasselt und eigentlich nur eines geschafft: den Namen ihres Spielers Mario Basler überregional bekannt zu machen. Der 24jährige hatte sich in seiner alten Heimat, er spielte vorher bei Hertha BSC, gegen seine noch ältere Heimat, er spielte davor bei Rot-Weiß Essen, eine Menge vorgenommen. Vor allem in der ersten Halbzeit, als die Bremer das Spiel nach Belieben dominierten und die Noch-Profis schon mal wie Amateure aussehen ließen, sauste und trickste er voller Elan über den Platz und verjagte den österreichischen Ex-Platzhirsch Andreas Herzog von jedem Freistoßpunkt – bis in die Schnurrbartspitzen jeder Zoll ein Jungnationalspieler. Am Ende aber saß er, während die anderen jubilierten, mißgelaunt und sauer in der Kabine, nachdem er in der 75. Minute ausgewechselt worden war.

Auf dem Flug nach Berlin hatte Basler seinen Vertrag mit Werder verlängert, und just diesen Moment nutzte Trainer Otto Rehhagel, seinem hochfliegenden Neustar einen kräftigen Hieb auf die hochgereckte Nase zu versetzen. „Wenn es eng wird, muß man auch Fußball spielen, wenn man nicht am Ball ist. Da hat er noch Nachholbedarf“, fand er deutliche Worte für Baslers Deckungsverhalten, vergaß aber nicht, dessen klugen Paß zu Herzogs 2:0 in der 38. Minute zu erwähnen. Zu diesem Zeitpunkt schien, nachdem Beiersdorfer schon in der 17. Minute das 1:0 geschossen hatte, alles wie erwartet zu laufen. Die Amateure in spe benahmen sich auch so, die Werderaner gewannen jeden Zweikampf – eine klare Sache, einseitig, langweilig, Routine von der Weser.

Doch kaum hatte Essens Trainer Wolfgang Frank durch seine zweite Auswechslung (Grein für Reichert) dem Kollegen Rehhagel das Gespenst der „Kobra“ Jürgen Wegmann („Ich bin giftiger als die giftigste Schlange“), mit dessen Einsatz von Anbeginn er gedroht hatte, endgültig von der Seele genommen, wurde es unversehens dramatisch. Einen abgefälschten Schuß stupste der Guinea-Kroate Daouda Bangoura ins Werder- Netz, die rot-weiße Stadionhälfte vergaß vor lauter Staunen völlig, den DFB zu beleidigen, während die grün-weiße Hälfte in erstarrtes Schweigen verfiel, das bis zwei Minuten vor Schluß anhielt. Fortan spielte nur noch Rot-Weiß Essen.

Das Bremer Tor wurde unter Beschuß genommen, als stünde Egidius Braun darin, Werder kam kaum noch in Ballbesitz, und Otto Rehhagel riß es im Sekundentakt von der Bank. Seine Abwehr wankte wie beim 0:5 gegen Porto, ein weiterer Treffer der Rot-Weißen, und der Pokal wäre mit größter Wahrscheinlichkeit nach Essen gewandert. Doch die Essener besaßen weder die Torgefährlichkeit der Portugiesen noch deren phänomenales Schußglück. Sie scheiterten an Reck, an Bratseth, an sich selbst, das bekannte Schicksal der Unterklassigen, die am Ende meist das Tor kassieren, das ihnen selbst verwehrt bleibt, in diesem Fall durch Wynton Rufer per Handelfmeter (88.). Der Aufstand der Erniedrigten und Beleidigten war niedergeschlagen, mit 3:1 holte sich Werder Bremen den DFB-Pokal, den aber wohlweislich nicht Bruder Egidius überreichte, auch nicht Helge Schneider, sondern Richard von Weizsäcker, über jeden Verdacht der Kumpanei mit dem „Trockenpulver“ (Dieter Hildebrandt) in der DFB-Spitze erhaben.

„Die Saison ist uns in vielen Dingen mißlungen“, euphemisierte RWE-Coach Wolfgang Frank, „heute war es genauso.“ Oder, wie es der Platon des Fußballs, Jürgen Wegmann, einmal in unvergessener Manier formulierte: „Es hat das Glück gefehlt. Dann kam auch noch Pech dazu.“

Rot-Weiß Essen: Kurth - Kügler - Jack, Pickenäcker (39. Geschlecht) - Margref, Lipinski, Spyrka, Zedi, Reichert (49. Grein) - Dondera, Bangoura

Zuschauer: 76.000; Tore: 1:0 Beiersdorfer (17.), 2:0 Herzog (38.), 2:1 Bangoura (50.), 3:1 Rufer (88./Handelfmeter)

Werder Bremen: Reck - Bratseth - Votava, Beiersdorfer - Wolter, Basler (76. Wiedener), Herzog (84. Borowka), Eilts, Bode - Hobsch, Rufer