: „Wir sind gekommen, um zu leben“
Magdeburg am Tag danach: Die „Ausländerjäger“ sind auf freiem Fuß, kein Offzieller findet den Weg ins Asylbewerberheim / Kaum Magdeburger Bürger bei der Mahnwache ■ Von Michaela Schießl
Das alte Pärchen hat es sich auf der Bank gegenüber dem Café Marietta gemütlich gemacht und beobachtet neugierig und aus sicherer Entfernung die Mahnwache vor dem verwüsteten Lokal. Allzuviel Unterhaltendes wird nicht geboten an diesem Freitag nachmittag in Magdeburg. Nur eine Handvoll Punks, sechs Afrikaner, einige Aktivisten von der Bakunin-Aktionsfront und Antifaschisten von Bandiera Rossa, die ganz friedlich Transparente hochhalten.
Echt langweilig, die Aktion; da war gestern, am feierlichen Herrentag, schon mehr geboten: „Wir waren gerade spazieren, als wir an der Marietta-Bar vorbeikamen. Das war so: Da waren unsere und die Dunklen. Die Dunklen, die Schwarzen, wissen Sie, hatten Stöcke und Messer und Knaller. Und dann haben sie furchtbar Lärm gemacht. Ausländer rein, Deutsche raus, haben sie geschrien. Das geht doch zu weit.“
Die Jugendlichen, die neben dem Pärchen auf der Bank sitzen, geben angewidert ihren Platz auf und strafen die Alten mit verachtungsvollen Blicken. Doch niemand fällt ihnen ins Wort oder widerspricht ihnen laut. Die die Senioren plappern fröhlich weiter: So etwas wie gestern hat es in den 70 Jahren, die sie in Magdeburg lebt, noch nie gegeben, berichtet die Frau. Auch ihr Gatte ist empört. „Hier gibt es viel zu viele Ausländer“, sagt er. „Die machen einem das Leben zur Hölle.“ Zwar ist er fast taub, und auch die Sehkraft hat stark nachgelassen. Doch die Ausländer sind ihm ein Dorn im blinden Auge. „So frech, wie die sind. Liegen einfach faul im Park herum und gehen nicht weg, wenn man es ihnen befiehlt.“
Auch an diesem Freitag, nachdem tags zuvor über hundert Rechtsradikale unbehelligt Ausländer durch die Straßen Magdeburg jagen durften, liegen die Ausländer wieder demonstrativ im Park an der Breiten Straße. An jenem Ort, wo sie gestern totgeschlagen werden sollten von fünfzig Rechtsradikalen, die alle wieder auf freiem Fuß sind. „Hier in der Mitte hat die Straßenbahn angehalten, obwohl dort gar keine Haltestelle ist“, beschreibt ein Afrikaner die gestrige Szenerie. „Wir konnten nur noch flüchten.“ Aus der Tram stürmten Hooligans, betrunken und gewaltgeil, mit Baseballschlägern bewaffnet. „In Todesangst rannten wir zu den Türken in die Marietta-Bar. Was hätten wir denn machen sollen, wir rannten um unser Leben“, berichtet ein Asylbewerber aus Schwarzafrika. Sein Oberschenkel ist verbunden, dort hat ihn beim Weglaufen ein Baseballschläger erwischt.
Heute wollen die Ausländer nicht mehr weglaufen. Sie hocken im Park, stehen am Imbiß, warten in den Autos rund um den Platz. Sie sind bereit. „Wir sind hergekommen, um zu leben, nicht um Krieg zu machen“, sagt ein Algerier. Wir haben Angst. Aber wir sind auch Männer. Und wir müssen Männer bleiben. Wir werden uns wehren. Sterben muß man sowieso.“ Für den Schwarzafrikaner ein paar Meter weiter ist Gewalt kein Weg. „Das würde schließlich auf mein Land zurückschlagen“, sagt er. Er wurde geschickt, um Informatik zu studieren. Der Mann ist bedient. „Heute morgen kam der Schuldirektor und zählte durch, ob wir alle noch da sind.“
Der Afrikaner zählt auch – die Tage und Monate bis zu seinem Abflug. „Hier in Magdeburg bin ich jeden Tag gefährdet, hier kann man jede Sekunde sterben. Ich bete jeden Tag, daß ich überlebe, bis mein Studium zu Ende ist. Am gleichen Tag noch steige ich ins Flugzeug, hier bleibe ich keine Nacht länger. Und dann habe ich was zu erzählen zu Hause.“ Ein Jahr noch muß der Afrikaner aushalten. Vorher aufzugeben ist unmöglich, schließlich habe sein Land Vertrauen in ihn gesetzt. Sein Land, in dem es nur so wimmelt von deutschen Touristen.
Wenn er, der „Gast“ in Deutschland, hier durch die Straßen geht, muß er ständig mit Anmache rechnen. „Ich laufe vorbei, und die sagen: Ausländer raus.“ Wenn ich stehenbleibe, ziehen sie sofort das Jackett aus.“
Für den Mann aus Afrika ist es völlig unerklärlich, warum die Regierung nicht einschreitet, die Polizei die Ausländer nicht in Schutz nimmt, sogar zuschaut, wenn sie angegriffen werden. „Gestern haben sie zuerst die Ausländer festgenommen, sie in Handschellen auf den Boden gelegt und zugelassen, daß die Skinheads auf ihnen herumschlugen.“ Sein afrikanischer Freund ist immer noch völlig fassungslos: „Als wir um Hilfe geschrien haben, hat uns ein Polizist den Stinkefinger gezeigt. Warum macht er das? Warum beleidigen sie uns? Warum tun sie uns das an? Und warum schauen die Leute zu?“
Auch für die Algerier ist die Magdeburger Polizei mehr Feind als Helfer. „Von denen ist keiner bereit, für uns zu kämpfen. Die gucken zu, wenn wir verdroschen werden.“ Khaled Lotfi, ebenfalls ein Algerier, war nur zufällig zum Herrentag in Magdeburg, um seinen Freund zu besuchen. „Ich will schleunigst zurück nach Köln“, sagt der 23jährige geschockt. „Hier kann man doch als Ausländer nicht leben.“ Die, die hier leben müssen, sind wild entschlossen, sich nicht einschüchtern zu lassen. „Wir wollen uns nicht verstecken, wir sind Menschen wie die auch, wir lieben die Sonne, selbst Hunde läßt man raus bei Sonne“, sagt ein Schwarzafrikaner.
Die einzigen, die den Ausländern in Magdeburg zur Seite stehen, sind die Linken und die Punks. „Wenn die da sind, lassen uns die Faschos in Ruhe. Und manchmal warnen sie uns, wenn Rechte im Anrücken sind.“
Am Herrentag allerdings wurde das Warnen vergessen. Die Punks hatten sich aus der Stadt verzogen, um nicht in die Randale verwickelt zu werden. „Wir wußten, daß die Rechten etwas planen“, sagt ein Blauhaariger.
Auch die Polizei hätte davon wissen müssen. Schließlich ist der Herrentag schon seit Jahren ein beliebter Termin für rechtsradikale Übergriffe. Im letztem Jahr griffen Skinheads einen Algerier an. „Stimmt, bestätigt Polizeidirektor Johann Löttmann. „Aber die hätten sich dann mit der Polizei geschlagen. Ein solcher Angriff wie in diesem Jahr sei nicht vorhersehbar gewesen. Von einem Fehlverhalten seiner Beamten will er nichts wissen. Vielmehr seien sie mutig dazwischengegangen und hätten gar riskiert, selbst attackiert zu werden.
Tatsächlich war die Polizei nicht einmal in der Lage, eine Handvoll Rechtsradikale zu bändigen. Die ganze Nacht über wurde das Krankenhaus von vier Faschos terrorisiert, die ihren verletzten Kumpel besuchen wollten. Mit den Worten: „Halt die Schnauze, Alter, sonst setzt's was“ zogen sie am Wachmann vorbei und versuchten, in die Station vorzudringen. „Die waren sternhagelvoll, diese Mistkerle, diese verfluchten“, schimpft der Wachmann. Dreimal mußte er die Polizei rufen, um die Rechten vom Gelände zu entfernen. „Keine Ahnung, warum sie die nicht gleich festgesetzt haben.“
Für die Ausländer ist es unerklärlich, warum die Polizei die Angreifer wieder auf freien Fuß gesetzt hat. In Gruppen stehen sie vor dem Asylbewerberheim in der Thomas-Mann-Straße und diskutieren, was zu tun ist. Doch eine Generalversammlung oder gar eine Strategie gibt es nicht. „Dazu sind zu viele Nationen hier“, sagt der stellvertretende Heimleiter Horst Katzer. „Solche Angriffe gelten vor allem den Afrikanern, das interessiert die Asiaten und Europäer wenig. Hier ziehen nicht alle an einem Strang.“
Ein Offizieller hat sich am Freitag nicht blicken lassen in dem großen Asylbewerberheim (1.000 Plätze). Kein Besuch, kein Statement, keine Entschuldigung seitens der Stadt. Man war damit beschäftigt, die Täter wieder auf freien Fuß zu setzten. „Wir haben keine Handhabe gegen sie“, klagt Polizeipräsident Antonius Stockmann. Sein Versuch, die Hetzjagd auf Ausländer zum fröhlichen Spiel mit „Sonne und Alkohol“ zu verharmlosen, ist gescheitert. Nach Polizistenaussagen waren viele der Täter prominente Rechtsradikale.
„Das ist ganz unglaublich, was sich die Polizei hier geleistet hat“, sagt eine junge Magdeburgerin. Sie ist eine der wenigen, die beschämt ist über die Vorgänge in ihrer Stadt. Entsetzt ist sie auch über die mangelnden Reaktionen. „Von den dreihundert Demonstranten am Samstag waren kaum Magdeburger Bürger dabei. Da sieht man die Stimmung in der Stadt. Fehlt nur noch, daß an die türkischen Läden geschmiert wird: Kauft nicht bei Ausländern.“
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