Cocktailempfang und Völkermord

Die muslimisch-kroatische Föderation wurde nicht wie geplant paraphiert / Statt dessen gab es Schampus und eine Erklärung der Außenminister Rußlands, der USA und der EU  ■ Aus Genf Andreas Zumach

Bosniens Premierminister Haris Silajdzić machte gute Miene zum bösen Spiel. Auf einem Empfang in der Genfer US-Botschaft, zu der am Samstag US-Außenminister Warren Christopher geladen hatte, dankte er den „vielen Freunden“ Bosniens in der US-Regierung. Vor Journalisten hatte der Premierminister zuvor noch verbittert vom „Ausverkauf der USA an die Europäer“ gesprochen. Die am Freitag von den Außenministern der USA, Rußlands und der EU verabschiedete Erklärung zu einer gemeinsamen Bosnien-Politik legitimiere „Aggression und Völkermord“. Es seien „lediglich Zusagen, aber keine Garantien“ gegeben worden.

Die bosnischen Muslime – wie auch die Kroaten – fühlen sich von der Clinton-Regierung an der Nase herumgeführt und im Stich gelassen. Erst am vergangenen Mittwoch hatten sich Vertreter der beiden Volksgruppen in Wien unter tätiger Mitwirkung von Washingtons Sonderbeauftragtem Charles Redman auf eine Landkarte für die muslimisch-kroatische Föderation in Bosnien geeinigt. Der bereits im März im Grundsatz beschlossene Verbund soll insgesamt 58 Prozent der bosnischen Staatsfläche umfassen: all jene Gebiete, die laut der letzten Volkszählung im Jahr 1991 – also vor Beginn des Krieges – deutlich mehrheitlich von Muslimen und Kroaten bewohnt waren. Auf der Karte ist auch das gesamte ostbosnische Gebiet um die derzeitigen muslimischen Enklaven Goražde, Zepa und Srebrenica als Teil der Föderation eingezeichnet. Der derzeit bestehende, mehrere Kilometer breite serbische Ost-West- Korridor beim nordbosnischen Brčko fehlt. Noch am Donnerstag abend bekundete Redman in Genf die Unterstützung der US-Regierung für das „58-Prozent-Modell“. Für Samstag mittag wurde zur feierlichen Unterzeichnungszeremonie in die US-Botschaft eingeladen. Doch nachdem Frankreichs Außenminister Alain Juppé Mitte vergangener Woche bei einem Besuch in Washington das Modell abgelehnt hatte, stieß US-Außenminister Christopher am Freitag in Genf auch bei seinen anderen Amtskollegen auf geschlossenen Widerstand. Die Außenminister der EU und Rußlands setzten durch, daß in der Abschlußerklärung des Ministertreffens die von der EU seit Vorlage ihres Aktionsplans von Anfang Dezember vertretene Formel festgeschrieben wurde. Laut dieser erhält die muslimisch-kroatische Föderation 51 Prozent Bosniens, die bosnischen Serben bekommen die verbleibenden 49 Prozent. Die für die Clinton-Regierung peinliche Absage der Unterzeichnung des Föderationsvertrages (statt dessen fand nur ein Cocktailempfang statt) wurde durch Christophers Begründung noch peinlicher: man habe „übersehen, daß das Föderationsabkommen bereits am Mittwoch in Wien paraphiert wurde“.

Der Führung der bosnischen Serben sind auch 49 Prozent des bosnischen Bodens zu wenig. Sie wies die Erklärung der Außenminister zurück. Statt der darin vorgesehenen Erhaltung Bosnien- Herzegowinas in seinen heutigen, international anerkannten Grenzen fordert sie zwei voneinander unabhängige Staaten. Von den 70 Prozent des bosnischen Territoriums, die sie derzeit besetzt halten, wollen die Serben maximal 15 Prozent räumen. Angesichts dieser Reaktionen der Kriegsparteien scheinen die Chancen eher gering, daß es – wie in der Erklärung der Außenminister verlangt – bald zu einem Waffenstillstand für mindestens vier Monate in ganz Bosnien kommt sowie zur Entflechtung der gegnerischen Truppen und zu einer Wiederaufnahme der Genfer Verhandlungen innerhalb von zwei Wochen. Selbst wenn sich Vertreter aller drei Seiten wieder in Genf einfinden sollten, besteht wenig Aussicht auf substantielle Fortschritte. Das Kommuniqué des Außenministertreffens enthält nichts, was nicht schon seit Beginn der internationalen Bosniendiplomatie im Sommer 1992 immer wieder erklärt wurde. Lediglich die Passage über eine schrittweise Suspendierung der Wirtschaftssanktionen gegen Serbien ist flexibler formuliert als im Aktionsplan der EU vom letzten Dezember. Wurde damals eine Sanktionslockerung erst nach vollständiger Umsetzung eines Friedensabkommens in Aussicht gestellt, soll dies jetzt schon nach ersten Schritten möglich sein. Fallengelassen wurde die Vorbedingung einer Friedensregelung für die von Serben besetzte kroatische Krajina. Die neue Formulierung zum Thema Sanktionen ist eine Konzession an den russischen Außenminister Andrej Kosyrew. Seine westlichen Amtskollegen hegen die Hoffnung, daß Moskau die Serben nun zu Konzessionen bewegen kann.