Magdeburger Ausländerhatz: Alle schauen weg

■ Weizsäcker fordert von den Deutschen mehr Zivilcourage / 19jähriger vor dem Haftrichter

Magdeburg (taz) – Nach den ausländerfeindlichen Krawallen am Himmelfahrtstag in Magdeburg deutet immer mehr darauf hin, daß die Rädelsführer ebenso wie die Mitläufer der Ausschreitungen straffrei ausgehen werden. Erst nachdem Bundespräsident Richard von Weizsäcker Kritik am zögerlichen Vorgehen der Polizei geübt hatte, wurde gestern nachmittag ein 19jähriger Magdeburger als Rädelsführer dem Haftrichter vorgeführt, der aber erst heute über den Haftbefehl entscheiden will. Ein Zeuge habe den jungen Mann identifiziert, sagte der Leitende Oberstaatsanwalt Rudolf Jaspers. Über Nacht sollte der 19jährige in Polizeigewahrsam bleiben. Bis zum Mittag hatte sich auch Jaspers darauf beschränkt, das Fehlen von Beweisen zu beklagen, mit denen man einzelnen Randalierern Gewalttaten zuordnen könne.

In einer ZDF-Sendung forderte Weizsäcker gestern mehr Zivilcourage von den Deutschen. Die Bürger selbst müßten „solche unmenschlichen und unerträglichen Übergriffe verhindern“.

Inzwischen kritisieren auch die Staatsanwälte das Vorgehen der Polizei. Noch am Freitag hatte Magdeburgs Polizeipräsident Antonius Stockmann behauptet, daß gegen einen türkischen Kellner, der fünf schwarzafrikanische Flüchtlinge mit einem Messer gegen die ausländerfeindliche Meute verteidigt hatte, ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden sei. Sachsen- Anhalts Generalstaatsanwalt Jürgen Hoßfeld hat diese Information dementiert. Es gebe nur gegen fünf Skinheads förmliche Ermittlungsverfahren.

Ob die zu einer Anklage führen, ist völlig offen. Die Polizei hatte es versäumt, einen Video-Trupp loszuschicken. Als am Samstag nachmittag rund 450 Menschen friedlich gegen die ausländerfeindlichen Ausschreitungen demonstrierten, war ein solcher Trupp wie selbstverständlich zur Stelle. Die massive Polizeipräsenz erwies sich in diesem Fall als ebenso überflüssig, wie sie am Donnerstag notwendig gewesen wäre. Die von vielen Seiten kritisierte Freilassung der 49 vorläufig festgenommenen Randalierer noch in der Nacht zum Freitag war eine eigenmächtige Entscheidung der Polizei-Einsatzleitung. „Die Staatsanwaltschaft ist vorher nicht gefragt worden“, sagte Hoßfeld. Vorfälle stiller Komplizenschaft einzelner Beamter mit den ausländerfeindlichen Krawallmachern waren der Polizei am Wochenende weiterhin unbekannt. Ein türkischer Kellner der Marietta-Bar, der die Flüchtlinge mit einem Messer verteidigen wollte, war von einem Polizisten entwaffnet und zu Boden geworfen worden, als Rechtsradikale auf den am Boden Liegenden einschlugen. „Der Polizist ließ die Arme des Mannes dennoch nicht los, so daß er den Schlägen und Tritten hilflos ausgeliefert war“, berichtet eine Augenzeugin.

In Magdeburg halten sich hartnäckig Gerüchte, wonach das Landesamt für Verfassungsschutz die Polizei von möglicherweise bevorstehenden Ausschreitungen am Himmelfahrtstag informiert habe. Journalisten, die dieser Information nachgehen wollten, stießen beim Verfassungsschutz auf eine Mauer des Schweigens. Eberhard Löblich Reportage Seite 11