Problemfall fehlende Täter-Opfer-Beziehung

■ Im Mai wurden bereits acht Menschen ermordet / Aufklärungsquote sinkt Von Kai von Appen

Der jüngste Mord in Hamburg ist bereits aufgeklärt: Ein 36-jähriger Türke, der am Samstag abend vor einem Kulturzentrum an der Fuhlsbüttler Straße einen Landsmann im Streit erschossen hatte, stellte sich gestern der Polizei. Doch längst nicht immer kann die Kripo so schnell einen Erfolg vermelden.

Immer wieder erschütterten Mordmeldungen in den vergangenen Wochen die Öffentlichkeit: „Die 65jährige Marion R. wurde in ihrem Bett mit einem Messerstich im Hals tot aufgefunden...“ „Ein 59 Jahre alte Mann ist gestern tot aus der Bille geborgen worden. Der Leichnam wies Kopfverletzungen und Messerstiche im Brustbereich auf...“ „Bei der Toten, die aus einem See bei Meckelfeld geborgen wurde, handelt es sich ...“

Bereits 27 Tötungsdelikte verzeichnet die Mordkommission in diesem Jahr, acht allein im Monat Mai. Aber es ist nicht diese derzeitige Häufung, die den 27 FahnderInnen der Mordkommission Kopfzerbrechen macht - im gleichen Vorjahreszeitraum gab es ebenso viele Tötungsdelikte; von „amerikanischen Verhältnissen“ könne daher nicht die Rede sein. Sorge bereitet der Polizei vielmehr die sinkende Aufklärungsrate. Lag diese früher bei weit über 90 Prozent, sackt sie derzeit deutlich ab.

Ohne Spuren kein Ansatz

Die Serie der diesjährigen Gewalttaten begann gleich am Neujahrsmorgen. In Fischbek wurde die Leiche der 20jährigen Kindergärtnerin Claudia H. gefunden. Vom Täter, der sein Opfer weder körperlich noch sexuell mißhandelt oder ausgeraubt hatte, fehlt bislang jede Spur. Wenige Stunden später wurde die 24jährige Wirtin Beate B. in ihrer Kneipe in Altona durch einen Kopfschuß getötet - auch dieser Mörder ist noch nicht gefaßt.

Solche Fälle sind die Ursache für das Absinken der Aufklärungsquote: Morde, bei denen zwischen Tätern und Opfern offensichtlich keinerlei Beziehung bestand. Ohne Augenzeugen oder klassische Spuren wie Finger- und Fußabdrücke oder Faserrückstände, ohne tätertypische Hinweise also fehlen den Kripobeamten die Ermittlungsansätze. Polizeisprecher Hartmut Kapp: „Das sind Problemfälle, die uns Sorgen machen. Von einer eklatanten Häufung von Morden ohne Täter-Opfer-Beziehung kann man aber noch nicht reden.“

Hingegen sind die Gewalttaten in diesen Mai-Wochen nach Angaben der Polizei „reine Beziehungskisten“ gewesen. Der vor drei Wochen in der Billstedter Kreuzkirche erschossene Türke war von einem „Familiengericht“ zum Tode verurteilt worden, weil er die Ehefrau eines Bruders umgebracht haben soll, jedoch vom Gericht freigesprochen worden war. Kapp: „Familienehre spielt in manchen Kulturkreisen eine andere Rolle als bei uns.“ Die Tote von Meckelfeld ist nach jetzigem Ermittlungsstand wahrscheinlich Opfer ihres flüchtigen Freundes geworden. Und auch die Ermordung der 65jährigen Marion R. aus Eilbek ist vermutlich aufgeklärt. Als Mörder ist der angehende türkische Schwiegersohn Ibrahim Y. verhaftet worden. Motiv: Habgier.

Spannungen, aber kein „Krieg“

Die Messerstecherei zwischen einem Afrikaner und einem Albaner vor zweieinhalb Wochen am Pinnasberg ist nach Auffassung Kapps eher ein „Einzelfall“ und nicht Hinweis auf einen Drogenkrieg zwischen rivalisierenden Gangs, zu dem die Boulevardmedien den Fall aufbauschten. Denn der mutmaßliche Täter – ein Kosovo-Albaner – hatte selbst eine klaffende Messerstichwunde, als er von Freunden ins Hafenkrankenhaus gebracht wurde. Kapp: „Das Opfer hätte also auch der Täter sein können.“

Für einen Dealerkrieg auf dem Kiez gibt es nach Erkenntnissen des Rauschgiftdezernats keinerlei Anhaltspunkte. Kapp: „Die Kurden von der Paul-Roosen-Straße und die Afrikaner kamen sich nicht ins Gehege, weil die einen Heroin und die anderen Koks und Haschisch verkauft haben.“ Neuerdings machten sich zwar am Hans-Albers-Platz Kokain-Dealer aus Kosovo-Albanien breit, so daß es vereinzelt Spannungen gebe, ein „Bandenkrieg“ sei das jedoch nicht. Das Eigentümliche derartiger Auseinandersetzungen: „Wenn es zu Streitigkeiten kommt, dann werden diese nicht mit Fäusten ausgetragen, sondern landesübliche Methoden angewendet“, so Kapp. „Es gibt eben Kulturkreise, da ist es üblich, sich schnell der Waffe zu bedienen. Die einen nehmen Messer, die anderen Schußwaffen.“