: Im Schneidersitz hockt da keiner mehr auf dem Tisch
■ Theater von hinten (8): Herrenschneider Helmut Jodeit liebt das üppige Rokoko
Im Stück „Der feurige Engel“ am Theater am Goetheplatz ist einem Sänger die Hose gerissen. Zack. Bei einer solchen Szene, da bricht Helmut Jodeit, Herrenschneider am Theater, der Schweiß aus. Sobald der Sänger abgeht, zückt er Nadel und Faden, und rettet so den Abend. „Da ist schon einiges passiert“, lächelt er. Seit 20 Jahren arbeitet er in der Kostümabteilung. Doch die alten Pfaff-Nähmaschinen in der Schneiderei sind noch länger dabei. „Von Anno-Tobak“, schimpft Helmut Jodeit ein bißchen.
Im Schneidersitz auf den Tischen sitzt hier niemand mehr. Die 13 HerrenschneiderInnen arbeiten im Stehen an großen Tischen. In dieser Werkstatt wird nur für die männlichen Darsteller und Sänger geschneidert, oder für die „Hosenrollen“. Aber wenn die Frauen in den Männerrollen zur Anprobe kommen, werden die Türen verschlossen. Und beim Abenddienst ziehen Männer Männer an und aus. „Viele Leute wundern sich, weshalb die Darsteller sich nicht alleine anzeihen können“, sagt Jodeit, „aber wenn zum Beispiel jemand einen Buckel tragen soll: Der muß festgemacht werden, und ein T-Shirt drübergezogen werden, damit das alles sitzt.“
Seinen Abenddienst macht Jodeit nur im Musikalischen. Seit 1974 fotografiert er SängerInnen in den Vorstellungen, die er Abends begleitet: „Mittlerweile habe ich sechs Alben voller Fotos. Und die Sänger haben mir meist noch was reingeschrieben.“ Ein wahrer Schatz, bestätigen ihm auch die SängerInnen, die sich darin verewigen. Doch der Abenddienst ist nur eine Seite seiner Arbeit, die andere Seite ist das Nähen. „Das ist alles natürlich viel abwechslungsreicher als in der Industrie“, sagt er. Dort ginge es nur nach Stückzahl und Qualität. Zehn Jahre lang arbeitete er bei der Firma Odermark, zuletzt als Werkmeister des Bremer Betriebes. Als Mitte der 70er Jahre die große Krise in der Textilbranche anbrach, suchte er sich eine Stelle beim Theater. Sein Können kann er hier deutlicher unter Beweis stellen. Denn genäht wird wie für das „richtige Leben“. Nicht außen hui, innen pfui.
Die Stoffe, die verarbeitet werden, sind allerdings anders als „normal“. Für „den privaten Bereich nicht zu nehmen“, sagt Jodeit. In der Tat, das Ledergewand aus kleinen Lederblättern ist gar allzu üppig, um sich damit zum Beispiel einfach in die Straßenbahn zu setzten. Auf den Zuschneidetischen liegen Stoffe direkt aus Afrika: „Das haben wir das erste Mal“, wundert sich Jodeit. Denn sonst liefern spezielle Firmen oder Webereien, die extra für das Theater weben.
Genäht wird nach „Figurinen“, die die KostümbildnerInnen anfertigen. Das sind Zeichnungen, die eben eine Figur in der entworfenen Kleidung zeigen, meist werden noch Stoffproben drangeheftet. Die KostümbildnerInnen kommen alle von außerhalb, das Bremer Haus hat keine. Manche von ihnen suchen sich auch etwas aus dem Fundus aus: 26.000 Kostüme hängen dort in der Garderobe. In jedem Kostüm ist der Name des betreffenden Sängers eingenäht. Die Maße aller SängerInnen befinden sich in einer Kartei: Oberweite, Taille, Hals, Schuhgröße, alles.
Fast alle KostümbildnerInnen wollen aber lieber ihr eigenes Werk kreieren. „Carmen hatten wir drei Mal. Einmal in braun, einmal in grau und einmal in gelb“, erinnert sich Jodeit, „es muß ja auch zum Bühnenbild passen“. Ihm gefallen die modernen Stücke, in denen normale Straßenkleidung getragen wird, nicht so gut. Er ist mehr für's Rokoko, das Althergebrachte und die bunteren Sachen. „Die Kleidung und auch die Stücke müssen publikumsfreundlicher sein. So viele Menschen sind beruflich im Streß, und im Theater, da wollen sie sich berieseln lassen.“
Vivianne Agena
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