Der Traum vom Volk

■ Zum fünfzehnten Mal will die Volksuni die Pfingsttage zur Bestandsaufnahme der linken und alternativen Bewegung nutzen / 2.000 BesucherInnen erwartet

Fünfzehn Jahre alt wird sie in diesem Jahr – die Volksuni, „das große Lernfest, um die verschiedenen sozialen Bewegungen zusammenzubringen“, wie Gründungsmitglied Jan Rehmann den Dikussionsmarathon an Pfingsten nennt. Doch eine rauschende Jubiläumsparty mit Festreden und nostalgischem Rückblick gibt es am Wochenende an der Humboldt-Uni nicht, statt dessen eine Veranstaltung in eigener Sache: „Was ist, was will, was soll die Volksuni?“

Eine Antwort zu geben war Anfang der achtziger Jahre leichter. Um die „heillos zersplitterte Linke“ wieder zusammenzubringen, um „sektiererischen Tendenzen entgegenzuwirken“, so Jan Rehmann, gründeten GewerkschafterInnen und WissenschaftlerInnen die Volksuni, „um die Trennung von Universität und Volk, von Wissenschaft und Arbeit zu überwinden“. Für den Zukunftsforscher Robert Jungk war die Volksuni gar eine Traumuniversität: „Weil für mich der Traum vom Volk der wichtigste Traum der Zeit ist.“ Auch „die Leute von der Straße zu erreichen“ – das hat sich manchmal mehr, manchmal weniger, aber auf jeden Fall nicht häufig genug erfüllt, resümiert Jan Rehmann, „doch wenn es gelingt, spürt man sofort den Funken“.

Als Veranstaltungsorte dienten immer die traditionellen Unis der Stadt: erst die Freie Universität (FU), dann wegen Mietwucher an der FU die Hochschule der Künste (HDK) und seit 1991 die Humboldt-Universität. 1980 strömten über 2.500 Wissensdurstige in die FU, die Teilnehmerzahlen schrumpften dann aber. Absoluter Tiefstand war 1986: Nur rund 1.000 kamen. Das hat sich nach der Wende wieder geändert: Rund 2.000 TeilnehmerInnen werden in diesem Jahr erwartet.

Entwickelt werden die verschiedenen Diskussionsveranstaltungen in den einzelnen Ressorts: Gewerkschaft und Arbeit, Frauen, Wissenschaft und Politik, Internationalismus, Ökologie, Kultur, Ideologie und Lebensweise, ChristInnen und Schwule, die völlig autonom voneinander arbeiten. Doch trotz der Vielfalt von Gruppierungen gibt es auch blinde Punkte im Veranstaltungsmarathon – einerseits, weil man auch „keinen Universalanspruch“ (Rehmann) habe. Daneben aber hätte es die Volksuni nur unzureichend geschafft, sich mit den sozialen Bewegungen in den neuen Bundesländern zu verbinden.

Neben der nach dem Fall der Mauer entstandenen politischen Desorientierung bei vielen MacherInnen der Volksuni gab es im vergangenen Winter auch Konflikte, die zu einer internen Neubestimmung führten. Ehrenamtliche Mitarbeiter rebellierten gegen ihren bislang zu geringen Einfluß auf die Linie des Projekts. Ihre Forderung: die Auflösung des „Ressorts für Grundfragen und Geschichte der sozialen Bewegungen“ um den Volksuni-Gründer Wolfgang Fritz Haug. Bereits 1987 kritisierten MitbegründerInnen, die die Volksuni inzwischen verlassen haben, das Machtgebaren Haugs: Es herrsche, so Wieland Elfferding damals, eine „Politbürostruktur“ in der Volksuni, die jegliche Basisnähe verhindere. Das Grundfragen-Ressort bereitete traditionell die größeren Veranstaltungen vor, hatte am politischen Profil der Volksuni also enormen Einfluß. Nach langwierigen Auseinandersetzungen einigten sich die ReformerInnen- und die GründerInnen- Fraktion auf einen Kompromiß: Das Grundfragenressort wurde in das Ressort „Wissenschaft und Politik“ umgetauft, die zentralen Veranstaltungen bereitet dieses Jahr eine Kommission aus Mitgliedern aller Ressorts und des Vereinsvorstandes vor. Wie es aber nach der diesjährigen Volksuni weitergehen soll, weiß niemand genau. Im Programm hat der interne Krach allerdings keine Spuren hinterlassen: Unter dem Motto „Große Krise – New Deal“ sollen die technologischen, ökologischen und gesellschaftlichen Bedingungen der neunziger Jahre mit dem Krisenarrangement der dreißiger Jahre in Verhältnis gesetzt werden. Die Eröffnungsveranstaltung bestreiten dieses Jahr Jens Reich und Johanna Dohnal, die österreichische Ministerin für Frauenangelegenheiten. Julia Naumann