■ Ein Sturz in der Nacht hat Martti populär gemacht
: Der Präsident und das Pflaster

Helsinki (taz) – Die Walpurgisnacht ist in Skandinavien ein sehr feucht und sehr fröhlich begangenes Frühlingsfest, das in Finnland traditionell zu dem ausartet, was in südlicheren Breitengraden Karneval genannt wird. Auf dem Marktplatz von Helsinki werden an diesem Tag unvorstellbare Mengen von Ballons, Mützen, Knallkörpern, T-Shirts und anderem leichtvergänglichem Schrott umgesetzt. Der Renner in diesem Jahr: ein schwarzes T-Shirt mit einem Pflaster quer über der Brust und der Aufschrift Mara-plast. Mara ist der Kosename für Martti, und Martti ist der Vorname des finnischen Präsidenten.

Martti Ahtisaari, frischgewähltes Schwergewicht im Amt, war vor drei Wochen zu seinem ersten Staatsbesuch aufgebrochen. Nach Schweden. Als er das königliche Gästehaus am letzten Besuchsmorgen verließ, zierte ein Pflaster seine Stirn. Dieses Pflaster hat dem als trübe Tasse eingeschätzten Martti bei seinen Landsleuten seither einen wahren Sprung auf der Popularitätsleiter beschert. Denn, so wird seit dem Fall gemunkelt, Martti trinkt gerne einen.

Die schwedische Boulevardzeitung Aftonbladet – Schlagzeile: „132 Kilo finnischer Präsident stürzt auf Schloßparkett“ – deutete als erste undiplomatisch den Grund für das Präsidenten-Pflaster an, und dann gab's keine Zurückhaltung mehr in den Medien: Der Präsident habe mit seinem Gefolge so kräftig auf den gelungenen Staatsbesuch gebechert, daß er im Morgengrauen einen benebelten Sturz auf den gekachelten Badezimmerboden hinlegte und eine Ambulanz benachrichtigt werden mußte, die eine klaffende Wunde an der Präsidentenstirn zu nähen hatte. Martti Ahtisaari murmelte vor der Presse zunächst etwas von einer „ungünstigen Kammführung“ und daß er sich wohl einen neuen Haarrechen zulegen müsse. Angesichts anhaltender Spekulationen vergaß er aber ein zentrales finnisches Sprichwort: „Selitä sinä vain!“ – „Du kannst mir viel erklären!“ Wer zu erklären versucht, hat es nötig. Martti versuchte ernsthaft zu beschreiben, wie er – natürlich völlig nüchtern – gestolpert, ausgerutscht, hingeschlagen sei: die dummen glatten Lackschuhe. Das Volk weiß es besser und drückt seither seinen Herrn, der anscheinend nicht anders ist als man selbst, so richtig ans Herz. Gibt es etwas, worüber in Finnland großzügig beide Augen zugedrückt werden, dann sind es unglückliche Ereignisse im Zusammenhang mit feucht-fröhlichen Festen. Und üble Nachrede wegen Alkoholgenusses hat hier noch keine PolitikerInnenkarriere beendet.

So war das Präsidenten-Pflaster kein Anlaß, die Fähigkeit Marttis zur würdigen Wahrnehmung der Amtspflichten in Frage zu stellen. Nein, das Pflaster schlug eine wahrhaft integrierende Brücke zwischen Herrscher und UntertanInnen. Zu Walburgis gab es nicht nur Pflaster-T-Shirts; das einfache Hansaplast, kommentarlos über die Stirn geklebt, war der große Renner in den Kneipen. Und von vielen Privatfesten wird eine ansteckende Epidemie berichtet, die am Schluß alle Gäste nach einem unauffälligen Griff in den Erste- Hilfe-Schrank im Gastgeber-Badezimmer bepflastert in den ersten Mai tanzen ließ. Daß in einigen Apotheken das Hansaplast bereits ausverkauft sein soll, scheint allerdings ein bloßes Gerücht zu sein.

Was Wunder, daß sich die KarikaturistInnen in Finnland schnell umgestellt haben und man kaum noch spekulieren muß, ob Martti das Pflaster nun seine ganze Amtszeit wird tragen müssen. Bis jetzt war der Zeichnerzunft sowieso nur die Leibesfülle des ersten Mannes als besonderes Kennzeichen eingefallen. Das Pflaster in der Not kam also wie gerufen. Reinhard Wolff