■ Press-Schlag
: Der Mann im Hintergrund

Wenn Steffi Graf über den Sandplatz hetzt, sitzt Heinz Günthardt seelenruhig auf dem Plastikstuhl in der Loge. Lediglich seine Augen fliegen mit jedem Ball – von der einen Seite des Courts in die andere. Nach links, rechts, cross, vor, ja sogar vor, zurück, ins Netz. Wenn der Gegnerin seines Schützlings ein Punkt gelingt, nickt er anerkennend. Zu gut ist seine Arbeitgeberin, als daß ihm graue Haare wachsen müßten. Nein, Heinz Günthardt hat die Souveränität des Erfolgreichen. Sein Blick fixiert die kleine Filzkugel: „Da, die Rückhand hat Steffi fünf Zentimeter zu spät genommen.“ Der Mann im Hintergrund sagt's ohne jegliche Regung seiner Gesichtsmuskulatur. Analytisch, sachlich. Ebenso wie Frau Graf auf dem Centre Court ihrem Job nachzugehen beliebt. Auf diesem haben Emotionen keinen Platz.

„Wieder zu spät.“ Was dem Tennisfan durch die Lappen geht, speichert der 35jährige akribisch ab. „Wenn ich lange ohne Heinz trainiere, schleichen sich viele Fehler ein“, gesteht die Weltrangenlisten-Erste zerknirscht, als ob sie das Tennisspielen in den letzten Tagen gänzlich verlernt hätte. Dabei hat sie soeben zum achten Male die German Open in Berlin zu ihren Gunsten entschieden.

Aus dem Munde der Perfektionistin klingt das wie das höchste Kompliment an die Adresse ihres Trainers, zu dem sich die wortkarge Spielerin hinreißen lassen kann. „Ich weiß nicht, was sie macht, wenn ich nicht dabei bin“, returniert der Schweizer ebenso zurückhaltend wie seine Chefin. Dabei ist er etwa 24 Wochen im Jahr. Seit zweieinhalb Jahren coacht er die 24jährige. Ein schriftlicher Vertrag existiert nicht. Familie Graf und der Neue einigten sich per Handschlag. „Diese Partnerschaft nutzt sich nicht so schnell ab“, glaubt Eberhard Wensky, Berliner Turnierdirektor, welcher den ehemaligen Berliner Bundesligaspieler den Grafs empfohlen haben will. „Die passen zusammen“, sagt Wensky zu der Zweckgemeinschaft, welche jene mit Pavel Slozil ablöste.

Heinz Günthardt bei der Arbeit Foto: Claus Bergmann

Der Tscheche und der Schweizer haben manches gemein. In ihrer aktiven Zeit haben sich beide vor allem als Doppelspieler hervorgetan. Günthardt an der Seite des Ungarn Balazs Taroczy jahrelang als weltweit bestes Duo. Vorteil Graf. Seit sie von Günthardt trainiert wird, überredet sie sich ab und an gar selbst zu Netzattacken. Beide Männer, die als Trainer in die Fußstapfen von Vater Peter Graf treten mußten, hatten vorher zum Frauentennis ein Un-Verhältnis. Slozil erzählte vom Spott der Kollegen, die ihn anfänglich fragten, ob er denn jetzt auch im Sitzen pinkeln müsse. Günthardt, korrekt und präzise wie ein Schweizer Uhrwerk, sagt lediglich: „Ich hatte vorher gar keine Einstellung zum Frauentennis.“ Und nun? „Ich weiß ja nicht, was die anderen machen.“

Der dreifache Familienvater, nebenbei Fernsehkommentator und Schreiberling für den Züricher Tagesanzeiger, redet nur über Dinge, von denen er sich selbst ein Bild machen kann. Frauentennis in der Krise? „Wir machen Fortschritte, aber Steffi hat überall noch Luft.“ Aber die anderen...? „Steffi ist von der Natur begünstigt.“ Die anderen? „Schwer zu sagen, man sieht ja nicht, was die tun, außer sie haben ein paar Pfund zuviel auf den Rippen.“ Und: „Eine Monica Seles könnte trainieren, soviel sie wollte, ihr Stil würde nie so athletisch wirken wie der von Steffi.“

Pavel Slozil bekannte einst: „Steffi liebt das Training, im Trainingslager hat sie mich mit ihrer unerbittlichen Ausdauer ganz schön geschlaucht.“ Vier Stunden Training täglich. Heinz Günthardt zieht seine Baseballmütze, die das schütter werdende Haupt bedeckt, ins Gesicht, lacht und erzählt von seinen Umstellungsproblemen: „Mann muß einfach lernen, daß Frauen einen anderen Rhythmus haben.“ Soll heißen, Bälle flacher spielen, mit geringerem Drall und deshalb die Winkel enger seien. Rechts, links, rechts, links – Punkt Graf. Die Domina der Damentennis-Welt trainiert ausschließlich mit Männern. Pech für Brenda Schultz, ihre Finalgegnerin in Berlin. Der 1,88 Meter großen Kraftathletin half selbst ihr Aufschlag, der härteste der Szene (190 Stundenkilometer), den auch nur wenige Männer wie weiland Roscoe Tanner (220) zu überbieten verstehen, nicht weiter. Die 24jährige hernach: „Frauen, die gegen Steffi antreten müssen, ohne meinen Aufschlag, tun mir echt leid.“

Was die Number one vom Rest der Welt unterscheidet? „Ich weiß nicht“, sagt jene fast schüchtern und pflegt, wie immer in Pressekonferenzen, in denen sie auf der äußersten Stuhlkante lauert, um möglichst flugs nach der letzten Frage aufspringen zu können, nervös auf ihrem Schemel hin- und herzurutschen – „vielleicht, ja vielleicht mein Selbstvertrauen.“ Schön. Warum aber braucht eine, die alles gewonnen hat, was man so gewinnen kann, überhaupt noch einen Coach? „Ein Trainer ist wie ein Blick in den Spiegel, er legt die Seele bloß.“ Hat einmal Hoch-Stabler Sergej Bubka gesagt: Heinz Günthardt, der anders als Pavel Slozil keine engen Bande zur Familiendynastie aus dem Badischen pflegt, betreibt Seelenarbeit auf dem Platz: „Das Schwierigste im Training ist die richtige Dosis.“ Wer nur die Schwachpunkte trainiere, verunsichere. „Fürs Selbstvertrauen unablässig ist die richtige Mischung von Stärken und Defiziten.“ Auf dem Court ist es eben doch wie im richtigen Leben. Cornelia Heim