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Nie wieder proben!

■ Regisseur Patrick Tucker im „Demonstrations-Workshop“ der shakespeare compagny den Bühnendolch in die Brust.

„Schon wieder Shakespeare?“ könnte man fragen, ist der Engländer doch auch in Deutschland der am meisten gespielte Bühnenautor. Und die Damen und Herren Interpreten beschäftigen sich auch schon seit fast vierhundert Jahren mit ihm.

Aber gestern abend hatte Patrick Tucker, Regisseur der Original Shakespeare Company in London, den BremerInnen tatsächlich etwas Neues zu bieten. Sein „Demonstrations-Workshop“ zu seiner höchst erstaunlichen Inszenierungspraxis führte in der bremer shakespeare company zu permanenten Heiterkeitsausbrüchen. Dort war er im Rahmen der neuen Vortragsreihe Shakespeare Lectures zu Gast.Tuckers These scheint irrwitzig: Shakespeares Stücke solle man möglichst originalgetreu behandeln. Naturbelassen entfalten sie ihr Aroma am besten. Shakespeare habe ebenso gearbeitet und – nie geprobt. Morgens die Texte verteilt, am Abend kommt das Publikum – jeden Tag Premiere.

Die neueste Quellenforschung zu frühesten Texte aus Shakespeares Hinterlassenschaft scheint Patrick Tucker recht zu geben. Die ältesten aufgefundenen Papiere verzeichnen für den einzelnen Schauspieler nur den Text, den er wirklich selbst sprechen wird, sowie – vorangestellt – sein Stichwort zum Einsatz. Diese Textblätter werden aneinander geklebt und aufgewickelt, das ergibt einen kleinen Schlagstock aus Papier, der sich auch gut zum Spicken eignet: die „Rolle“ des Schauspielers. So ausgerüstet tritt der Darsteller auf die Bühne – und spielt.

Shakespeareforscher und -verehrer Patrick Tucker ist ein Mann der Praxis. Als Regisseur arbeitet er dabei in der renommierten Original Shakespeare Compagny, macht aber auch vor der englischen Lindenstrasse nicht halt. Unter Theaterpuritanern gilt so was fast als verdächtig. Daß er noch bei 140 anderen Theater- und Fernsehproduktionen mitgewirkt hat, sei nur nebenbei erwähnt. Aber natürlich kommt die Serienfilmerei seinem ökonomischen Arbeitsstil zugute. „Wenn ich drei Minuten zu drehen habe, dann stehen dafür etwa zwanzig Minuten Vorbereitung zur Verfügung. Da wird nicht groß geprobt. Ich erkläre den Schauspielern ihre Auf- und Abgänge, dann läuft die Kamera.“

Da stehen dem deutschen Theaterschauspieler die Haare zu Berge, aber auf einen Versuch läßt es auch die bremer shakespeare company ankommern. „It goes like this“: Drei theatralische Versuchskaninchen betreten die Bühne. Sie haben irgendwelche Kostüme an, irgendwelche Rollen in der Hand und wissen weder Stück noch Gang der Handlung. Der erste spricht seinen Text, die anderen starren ihn erwartungsvoll an. Jeden Moment könnte das Stichwort kommen. Spannung entsteht. Auch Angst, den Einsatz zu verpassen. Und plötzlich ist das klassische Theaterproblem, was mache ich, wenn ich nicht dran bin, gelöst: Zuhören. Patrick Tucker nennt das den Orchestereffekt: die Musiker bekämen schließlich auch nur ihre Stimme und nicht die ganze Partitur zu sehen, auch sie zwinge man so zum Zusammenspiel.

Um 1600 in Shakespeares Globetheater wurden an sechs Tagen in der Woche sechs verschiedene Theaterstücke aufgeführt. Immer mit den selben Schauspielern. Am Morgen lernte man die Rollen, am Abend kam das Publikum. Norbert Kentrup von der bremer shakespeare company, möchte zwar nicht zu solchen Arbeitsbedingungen zurück, aber überzeugt habe ihn der super spontane Inszenierungsstil schon.

In Bremen, wo in den letzten Jahren eine Shakespeare-Hochburg entstanden ist, wird bewußt nach historischen Quellen gesucht. Norbert Kentrup: „Durch den Kontakt mit dem Internationalen Globe Centre in London hoffen wir an die ursprünglichen Regieanweisungen heranzukommen. Das ist mühselige Rekonstruktionsarbeit.“ Die Lectures-Reihe ist ein Weg dazu.

Patrick Tuckers Lecture war ein Vortrag vorausgegangen, in dem es um die Architektur des elisabethanischen Theaters ging, und darum, wie sie die Inszenierungspraxis beeinflußt: Die nach drei Seiten offene Bühne zwingt zum ständigen Kontakt mit dem Publikum. Um diese Nähe zwischen Schauspieler und Publikum zu erhalten, bleibt in Bremen zum Beispiel während der Aufführung im Saal das Licht brennen. Das ist für die bremer shakespeare company eine Kompromißlösung; was sich ansonsten von der original getreuen Auführungspraxis in Bremen noch umsetzen läßt, bleibt abzuwarten. Und ob Patrick Tuckers „Anti-Proben-Rezept“ zur Anwendung kommt, wird der Blick in die Programmseiten dieser Zeitung zeigen. Vielleicht taucht ja schon morgen eine völlig „neue“ Premiere auf. Susanne Raubold

Die nächste Shakespare-Lecture gibt die Feministin Germain Geer am 20. Juni.

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