In Ruanda läßt sich die UNO Zeit

Verstärkte Blauhelmtruppe kommt voraussichtlich erst im Juni – wenn sich die militärische Lage vielleicht schon beruhigt hat / Rebellen signalisieren Bereitschaft zur Kooperation  ■ Von Dominic Johnson

Berlin (taz) – Selten haben sich die Vereinten Nationen mit einem Truppenentsendungsbeschluß so schwer getan wie im Falle der jetzt vereinbarten 5.500 Blauhelme für Ruanda. Nicht einmal einen Monat ist es her, da standen bereits 2.500 UNO-Soldaten in dem Bürgerkriegsland: Sie waren das militärische Standbein einer im August 1993 begonnenen Mission, die den Waffenstillstand zwischen der Regierung des mittlerweile ermordeten Präsidenten Juvenal Habyarimana und der Rebellenfront RPF („Patriotische Front Ruandas“) überwachen und die Bildung einer gemeinsamen Regierung durch die beiden Seiten absichern sollte. Die Truppen wurden im April abgezogen, nachdem sie untätig zugesehen hatten, wie regierungstreuen Milizen nach dem Tod Habyarimanas Zivilisten massakrierten. Nur 450 bis 500 Soldaten aus Ghana und Bangladesch befinden sich seitdem noch im Land.

In der Zwischenzeit hat sich das massenhafte Töten zum Völkermord ausgewachsen. Doch wiederholte Appelle des UNO-Generalsekretärs Butros Ghali, die Truppe wieder aufzustocken und sie mit dem Mandat zu versehen, das Morden einzudämmen, stießen international auf taube Ohren: Jeder wollte, daß jemand anders seine Soldaten schickt. Eine zunächst vorgesehene, von UNO und den Vereinigten Staaten gewünschte panafrikanische Eingreiftruppe kam nicht zustande.

Als Butros Ghali vergangene Woche nach intensiver Lobbyarbeit bei einzelnen afrikanischen Staaten die Entsendung einer Truppe von 5.500 Mann vorschlug, stieß er wiederum auf Widerstand der USA. Der UN-Generalsekretär favorisierte eine spektakuläre Landung bewaffneter UNO-Soldaten auf dem derzeit umkämpften Flughafen der ruandischen Hauptstadt Kigali. Danach sollten nicht näher lokalisierte „neutrale Zonen“ oder „Sicherheitszonen“ für Kriegsflüchtlinge geschaffen werden. Die USA verhinderten einen raschen Beschluß dieses Inhalts. Sie konnten sich jedoch auch nicht mit ihrem Alternativvorschlag durchsetzen, der die Absicherung der ruandisch-burundischen Grenze durch eine wesentlich kleinere Truppe vorsah.

Nun soll die Truppe aber doch kommen. Oder doch nicht? Die Einzelheiten des in der Nacht zum Dienstag zwischen der UNO und den USA ausgehandelten Kompromisses lassen bewußt Spielraum. Zunächst einmal soll das jetzige Mini-Kontingent der UNO in Kigali kurzfristig um 500 Soldaten aus Ghana verstärkt werden. Zugleich sollen 150 UNO-Beobachter nach Ruanda ausschwärmen und dort „die humanitären Bedürfnisse“ in Augenschein nehmen. Aufgrund ihrer Beobachtungen soll Butros Ghali dann in zwei Wochen dem UN-Sicherheitsrat erneut Bericht erstatten. Erst dann kommt die Entsendung der 5.500 Blauhelme in Gang – und bis dahin können sich sowohl die Einschätzung der UNO wie auch die Lage in Ruanda selbst völlig ändern.

Spekuliert die UNO darauf, daß in den nächsten zwei Wochen die zur Zeit äußerst siegessichere RPF-Guerilla die versprengten Mörderbanden der regierungstreuen Milizen vollständig besiegt, die Hauptstadt Kigali im Alleingang befriedet und in Ruanda zumindest den Grundstein für einen politischen Wiederaufbau legt? Die vorsichtig positiven Äußerungen der Rebellen – die einen humanitären UNO-Einsatz begrüßen, einen Kampfeinsatz aber ablehnen – deuten darauf hin, daß die Guerilla an ihrer Absicht einer Zusammenarbeit mit der UNO beim Wiederaufbau Ruandas festhält. Eine solche Zusammenarbeit würde dann vermutlich auf der Grundlage des Friedensvertrags vom August 1993 stattfinden, der die Bildung einer Allparteienregierung unter UNO-Ägide vorsah. Die RPF hat bereits gesagt, zukünftigen Regierungsmitgliedern müßte von neutraler internationaler Seite bescheinigt sein, daß sie nicht für die Massaker verantwortlich sind. Und die UNO-Menschenrechtskommission will nach ihrer für nächste Woche geplanten Ruanda-Sondersitzung Sonderbeauftragte zur Untersuchung der Massaker entsenden.

Bis Anfang Juni könnte somit ein tragfähiger politischer Rahmen für die RPF-UNO-Kooperation entstehen, innerhalb dessen Blauhelmsoldaten humanitäre Hilfe leisten. Dies geht aber nur, wenn die UNO ihre auch in der jüngsten Resolution deutliche Gleichsetzung aller ruandischen Kriegsparteien aufgibt und wenn die noch im Süden Ruandas aktiven Regierungsmilizen sich geschlagen geben oder um des Überlebens willen politisch einbinden lassen. Beides ist zur Zeit nicht in Sicht. Der Krieg wird somit für den Rest des Monats noch weitergehen.