Luxusambiente im Pfandhaus

Cash gegen Faustpfand / Dem deutschen Pfandkreditgewerbe geht es gut / Im Osten beleben Leihbeamte das Geschäft / 30 Jahre stabile Zinsen  ■ Aus Dresden Detlef Krell

Mit sanftem Summton öffnet sich die Tür. Der Weg führt vorbei an glitzernden Auslagen bis vor eine Glasscheibe. Dahinter lächelt Dagmar Beier ihrer Kundschaft mit diskretem Charme entgegen. „Guten Tag! Was kann ich für Sie tun?“ Nur keine Hemmungen bitte, es könne ja immer mal passieren, daß ein paar Mark in der Haushaltkasse fehlen. „Zu uns kommen Professoren, Anwälte, Journalisten, auch Angestellte oder Reinigungskräfte“, berichtet die Inhaberin des ersten Dresdner Leihhauses. Seit einem Jahr führt sie mit Ehemann Wolfgang Beier das Geschäft, „und es läßt sich gut an“.

Die Gründe, weshalb jemand mit dem Pfand bei einem Leihhaus klingelt, seien so verschieden wie die Leute selbst. Bei „Angestellten und aufwärts“ kommt es vor, daß der Steuerbescheid des Finanzamtes mit unerwarteter Härte ins Haus eingeschlagen war. Oder es soll schnell und unauffällig ein Herzenswunsch erfüllt werden. Andere wollen sich selbständig machen und können dafür ganz gut eine Weile auf ihr Tafelsilber oder anderes Familienerbe verzichten. „Hier erzählen alle ihre Geschichte“, weiß die Wechslerin ihren neuen Beruf zu schätzen.

Kürzlich brachte eine Frau die Videokamera ihres Ehemannes. Der lag im Krankenhaus und konnte eh nicht filmen. So kam die Kamera für vier Wochen ins Leihhaus; die Frau konnte sich endlich einen schicken Ring kaufen, auf den sie schon lange ein Auge hatte. Als der Mann seine Genesung feierte, war die Videokamera längst wieder ausgelöst – für ein Prozent Zinsen plus Gebühr. Hätte die Frau das Geld nicht rechtzeitig aufgebracht, wäre das vielleicht nicht gut für den ehelichen Frieden gewesen. Aber im Leihhaus hätte sie noch einen Monat Schonfrist bekommen, bevor das gute Stück in den Verkauf oder zur Auktion gekommen wäre.

Das Dresdner Leihhaus ist eine ausgesucht schicke Adresse. Eine stille Seitenstraße, ein denkmalgeschütztes, frisch saniertes Haus mit blanken Messingschildern am Eingang; das Ambiente läßt eher einen Juwelier oder eine Bankfiliale erwarten. Die oberen Etagen sind bewohnt. Dagmar Beier: „Kunden aus den alten Bundesländern wundern sich, daß wir so versteckt liegen. Viele Dresdner aber sind froh, daß sie hier mal eben in ein Wohnhaus gehen können, ganz unauffällig.“ Es sei denn, sie bringen ihren Fernseher mit. Sechshundert Stammkunden nutzen in Beiers Geschäft, einem von fünf in den neuen Bundesländern, das Prinzip „Geld gegen Pfand“. Die Inhaber pflegen ein gutes Klima: „Bei einigen wissen wir bereits, wenn sie zur Tür hereinkommen: Das wird ein Kredit in der Höhe und für diese Zeit.“ Das Geld, von dem sich als Pfandleiher leben läßt, bringen nicht die noch recht wenigen DresdnerInnen, die sich über die Schwelle trauen, sondern Leihbeamte aus dem Westen.

Die verdienen ja nun bestimmt nicht schlecht und sind dem Gewerbe das beste Argument gegen den hartnäckigen Vorwurf, man würde sich an der Armut anderer Leute bereichern. „Wer arm ist, hat nichts zu verpfänden“, gibt die Pfandleiherin eine Weisheit preis, die auch ihre KollegInnen vom Zentralverband des Deutschen Pfandkreditgewerbes bestätigen können, die gestern in Dresden die Wechsel der Branche nachzählten. Pfandkredit, so lautet das optimistische Urteil, habe sich „zu einer wichtigen Säule der deutschen Kreditwirtschaft“ entwickelt. 1,3 Millionen BundesbürgerInnen nutzten im vergangenen Jahr den Finanzservice von 150 privaten Leihhäusern.

Verbandsvorsitzender Joachim Struck stellte fest, daß im Westen der Anteil der „Edelpfänder“ wie Schmuck, Uhren oder alte Münzen steige. Im Osten müßten sich die Bedürftigen noch von technischen Geräten und Unterhaltungselektronik trennen. Dort fehle es oft an entbehrlichen Luxusgegenständen. Durchschnittsdarlehen im Westen seien 400 Mark, im Osten schlappe 150 Mark hoch. Auf diesem Ostniveau, klagen die Wechsler, sei gewinnbringendes Wirtschaften kaum möglich.

Sehnsüchte der Westbeamten jedoch beleben Geschäft und Statistik. Den bisher größten Kredit gewährte das Dresdner Pfandhaus in Höhe von 10.000 Mark. Im Westen seien „vier- und fünfstellige Beträge an der Tagesordnung“, berichtete Struck. Und Pfandkredite seien günstig: Seit 30 Jahren sind die Zinsen stabil geblieben.

Ihren Erfolg schöpfen die Pfandhäuser auch aus dem Desinteresse der Banken und Sparkassen an Kleinst- und Kurzkrediten und aus der oft abschreckenden Bürokratie an den Bankschaltern. Wer zum Wechsler geht, zeigt seinen Ausweis und hat nach drei Minuten das bare Geld in der Hand und keine Schulden. Für den Kredit haftet er nur mit dem Pfand. Fünf Prozent Umsatzplus wollen die Leihhäuser dieses Jahr erwirtschaften. Ein schönes Gesellschaftsspiel für alle, die nichts zu verlieren haben außer ein bißchen Luxus.