„Kürzungen haben kurze Beine“

■ Aktionstag gegen Sozialabbau / FDP produziert Koalitionskrach wegen SPD-Aufruf

„Das soziale Netz zerreißt!“ Unter diesem Motto hatten gestern alle Wohlfahrtsverbände, die Bremer Selbsthilfegruppen, der DGB und die Personalräte der Sozialämter zu einem großen gemeinsamen Aktionstag gegen die Kürzungen im Sozialbereich aufgerufen. Gut 1.000 TeilnehmerInnen hatten sich bis zum Nachmittag zur zentralen Kundgebung auf dem Marktplatz versammelt. Zuvor hatte es Personalversammlungen, kleine Aktionen und Demonstrationszüge an mehreren Stellen der Stadt gegeben. Und auf dem Marktplatz präsentierte sich von der Arbeiterwohlfahrt bis zum Prostituierten-Selbsthilfeprojekt Nitribitt das ganze Spektrum der Bremer Sozialverbände und -initiativen an bunten Ständen.

Eine überdimensionale Mangel hatten zum Beispiel die Erwerbsloseninitiativen aufgestellt, durch die sich – diesmal mit großem Spaß – die Kinder drehen ließen. Nebenan demonstrierte die Stadtteilschule spielerisches Lernen am Computer. Und ein Sandwich-Mann präsentierte seine persönliche Erkenntnis: „Kürzungen haben kurze Beine.“

Keinen Erfolg hatte dagegen der Versuch der Neustädter Kindertagesstätten, den Protest auf den Teerhof zu tragen. Ihre angemeldete Kundgebung wurde kurzfristig verboten, da die Teerhof-GmbH als Eigentümerin der gesamten toten Insel keine Zustimmung geben wollte. So sahen sich denn die munteren Kinder am Neustädter Deich einer Polizeisperre gegenüber, die sich auch mit versammelter Trillerpfeiffenkraft nicht öffnen ließ.

Bereits am Vormittag hatte die Landesarbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtsverbände (LAG) vor 300 TeilnehmerInnen ihre Kundgebung auf dem Marktplatz abgehalten und anschließend in einem Happening dutzende Papiermenschen durch ein symbolisches soziales Netz vor der Bürgerschaft fallen lassen. „Erstmals in ihrer Geschichte und einmalig in der Bundesrepublik“ sei eine solche gemeinsame Aktion der großen Verbände von der AWO bis zum Paritätischen gewesen, versicherte LAG-Sprecher Klaus Pietsch.

Die ungewohnte Aktionsform sei nötig geworden, nachdem „das übliche Instrumentarium“ angesichts der jüngsten Kürzungsrunde des Senats versagt habe, so Pietsch. Pastor Manfred Schulken, Chef des Bremer Diakonischen Werkes, sagte es noch drastischer: „Es lohnt sich für uns kaum noch, mit der Sozialsenatorin zu sprechen, denn die kann uns nur erklären, daß sie machtlos ist. Diese Situation wird kaltblütig benutzt, auf Kosten derer, die sprachlos sind, den nackten Kapitalismus einzuführen.“

Helle Empörung löste schließlich der Aufruf der SPD zur Teilnahme am Protesttag bei der FDP aus. Als „gnadenlosen populistischen Wahlkampf“ wertete Wirtschaftssenator Claus Jäger die Formulierung in dem SPD-Flugblatt, Sozialpolitik müsse „insbesondere gegenüber dem Ampelpartner FDP verteidigt werden“. Und gar als „politische Absage des Sanierungsprogramms“ wertete der Senator den SPD-Satz: „Wir setzen uns bei den wirtschaftsnahen Maßnahmen auch weiterhin für höherer Kürzungsquoten ein als beispielsweise in der Sozial-, Jugend-, Alten- und Gesundheitspolitik“.

Die FDP will aus diesem Anlaß jetzt eine Sondersitzung des Koalitionsausschusses einberufen. Jäger: „Entweder wird die Formulierung dort von der SPD zurückgenommen, oder wir haben das schwierigste Problem, das wir bisher in der Koalition hatten“.

Ase

vgl. auch „Nachgefragt“ mit der Sozialsenatorin Irmgard Gaertner auf Seite 22