Lehrer kämpfen, und Schüler machen blau

■ Nach gestrigen Warnstreiks im öffentlichen Nahverkehr streiken heute Lehrer

Gestern früh war Berlin für drei Stunden wieder eine geteilte Stadt. Im Westteil fuhren Busse und U-Bahnen nur bis zur Grenze des Tarifgebietes Ost, weil dort zwischen 4 und 7 Uhr die Beschäftigten der Verkehrsbetriebe die Arbeit niedergelegt hatten. U- und Straßenbahnen sowie Busse standen still, nur die S-Bahn fuhr.

Nach Angaben der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV) beteiligten sich 3.800 Beschäftigte der Verkehrs- und Wasserbetriebe am Warnstreik, um die Forderung nach schnellstmöglicher Angleichung der Einkommen und Arbeitszeit der etwa 110.000 Ostberliner Beschäftigten an das Westniveau bis Ende 1995 zu unterstreichen. Nachdem die Verhandlungen am 9. Mai ohne Ergebnis abgebrochen worden waren, hat die ÖTV mit einer Urabstimmung über unbefristete Streiks gedroht, wenn sich Innensenator Heckelmann (CDU) bis zum 25. Mai nicht bewege. Die Gewerkschaft der Polizei kündigte gestern eine Verfassungsklage an, wenn eine Anpassung nicht durchgesetzt werden könne.

Nach „gewissen Anlaufschwierigkeiten“, so BVG-Pressesprecher Wolfgang Göbel, sei gestern gegen 8 Uhr der Verkehr im Zentrum Ostberlins wieder auf vollen Touren gelaufen, in den Außenbezirken etwas später. Nach Angaben einer Gewerkschaftssprecherin haben die BerlinerInnen größtenteils Verständnis für den Warnstreik gezeigt.

Verständnis wird auch heute wieder erwartet, und zwar von den Eltern, deren Kinder in Mitte und Prenzlauer Berg zur Schule gehen. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) hat alle LehrerInnen und ErzieherInnen in beiden Bezirken zum Warnstreik aufgerufen. Während die rund 3.000 LehrerInnen und ErzieherInnen ihren knapp 50.000 SchülerInnen anschaulich demonstrieren, wie sie für die Gleichstellung mit ihren WestkollegInnen kämpfen, sind die 66 Schulen und Kinderhorte geschlossen. Ein „Notdienst“ wird sich um die Kinder kümmern, die nicht zu Hause bleiben können. Wie die GEW geht auch Dankward Brinksmeier (SPD), Volksbildungsstadtrat in Mitte, von einer fast 100prozentigen Streikbeteiligung aus. „Die Bevölkerung trägt das mit“, ist er sicher. Nachdem an den Schulen Elternflugblätter verteilt worden sind, hätte sich niemand beschwert. Arbeitsrechtliche Folgen haben die Ostberliner LehrerInnen, die fast alle Angestellte sind, nicht zu befürchten. Von den 1.200 Lehrkräften in Mitte beispielsweise sind lediglich zwei beamtet.

Um 12 Uhr werden sich die LehrerInnen und ErzieherInnen vor dem Haus des Lehrers am Alex zu einer Kundgebung versammeln. Auch die knapp 700 Ostbeschäftigten bei der Gasag und der Berliner Hafen- und Lagergesellschaft (Behala) werden sich heute zwischen sieben und neun Uhr zu einer Kundgebung in der Littenstraße in Mitte versammeln. wahn