Trauermarsch bei Daimler

Aktionäre der Daimler-Benz AG betrauern auf ihrer Hauptversammlung das schlechteste Geschäftsjahr des größten deutschen Industriekonzerns  ■ Aus Berlin Donata Riedel

Die Kritischen Aktionäre blasen einen Trauermarsch. Damit haben sie die Tonlage der Daimler-Benz-Aktionärsversammlung genau getroffen. Daimler-Vorstandschef Edzard Reuter, einst stolzer Visionär eines globalen Technologiekonzerns, war gestern im fensterlosen Saal des Berliner Messezentrums kaum wiederzuerkennen. „Ohne jede Vorwarnung“ sei der Konjunktureinbruch über den größten Industriekonzern der Bundesrepublik gekommen, „was wir nicht vorhersehen konnten“.

Die Rezession habe Daimler „härter getroffen als andere, die durch doch wohl eher glückliche Umstände gleitendere Wege der Anpassung gehen konnten, als das bei uns der Fall war“, beklagte Reuter das Schicksal.

Wer – außer ein paar kritischen Aktionären – hätte 1990 auch voraussehen können, daß bis 1995 die Rüstungsaufträge des Bundes an die Daimler-Tochter Dasa um 60 Prozent zurückgehen würden? Und wer – außer ein paar grünen Autofeinden – hätte gedacht, daß die überdimensionierte S-Klasse bei ihrer Einführung überhaupt nicht mehr in die Zeit passen würde?

In der Stuttgarter Daimler-Zentrale offenbar niemand, und so staunte Reuter noch gestern darüber, daß 1993, im „schwierigsten Geschäftsjahr der Nachkriegsgeschichte“ der Umsatz um vier Prozent auf 97,7 Milliarden Mark zurückgegangen war und der Konzern im großen Stil Wertpapiere aus seinem Vermögen verkaufen mußte, um noch 600 Millionen Mark Gewinn in die Bilanz schreiben zu können. Das nach stockschwäbischen Kriterien berechnete interne Betriebsergebnis hatte den Verlust auf 5,1 Milliarden Mark beziffert.

„Durch Ihren visionären Tiefschlaf haben Sie massive Kapitalvernichtung betrieben“, warfen die Vertreter mehrerer Kleinaktionärsvereine unter Applaus des Publikums den neun Herren des Daimler-Vorstands vor und drohten damit, Reuter und den Finanzvorstand Gerhard Liener nicht zu entlasten. Was nicht mehr ist als eine Geste, schließlich verfügen die großen Banken, allen voran die Deutsche, und kuweitische Ölscheichs über die Mehrheit des stimmberechtigten Kapitals.

Nur acht Mark Dividende pro Aktie – das sind auch die kleineren Kapitaleigner des einstigen schwäbischen Kronjuwels nicht gewöhnt, ebensowenig wie einen Aktienkurs, der im vergangenen Jahr weniger zulegte als der Deutsche Aktienindex (DAX). Daß nun 1994, nach dem Abbau von 68.000 Arbeitsplätzen weltweit bis Ende des Jahres, alles wieder „so wie früher“ laufen wird, mochte von den etwa 1.000 Kleinaktionären niemand glauben.

„Wir werden in diesem Jahr über den Berg kommen. Falls uns nicht ein erneuter Konjunktureinbruch trifft“, versprach Reuter und erntete Hohn. Bei der AEG, die seit acht Jahren immer neu umstrukturiert und jetzt stückchenweise verscherbelt wird, sei den Aktionären Jahr für Jahr die Schwarze Null versprochen worden, erinnerte ein Aktionär. Die Bilanz jedoch war jedes Mal „aus Erfahrung rot“, wie in Stuttgart gespottet wird.

Die „Strategie“ für die Zukunft? Sie klingt bescheiden: Das Gemischtwarenimperium wird zurückgestutzt auf einen Transportmittel-Produzenten, der vom Kleinwagen bis zum Großraumflugzeug bei weiter sinkendem Rüstungsanteil auch ein wenig Elektro- und Funktechnik herstellt.

Hilmar Kopper, Deutsche- Bank-Chef und Daimler-Aufsichtsratsvorsitzender, versuchte diesmal, die Kritik abzuwürgen, ohne die Mikrophone abzudrehen und die Kritischen Aktionäre aus dem Saal zu werfen. „Es handelt sich nur um einen einzelnen Aspekt der Geschäftspolitik, darum müssen 15 Fragen reichen“, beschied er Jürgen Grässlin von der Initiative und traf damit die Stimmung des Publikums. Das schlich sich bei Redaktionsschluß mehrheitlich zu Würstchen und Bulletten, als „die Außenseiter“ ans Rednerpult traten.