Kameras und Satelliten über der Autobahn

■ Mautversuch: Zehn Firmenkonsortien konkurrieren um den Zuschlag

Bonn (taz) – Wer von Bonn nach Köln über die Rennstrecke A 555 brettert, landet nach ein paar Kilometern im Maut-Versuchsfeld. Auf der dreispurigen Fahrbahn wird zur Zeit die Infrastruktur gesät, mit der ab 1998 die Autobahngebühr geerntet werden soll. Auf einer fünf Kilometer langen Versuchsstrecke testet der Technische Überwachungsverein (TÜV) Rheinland die ersten elektronischen Mautstationen. Ein Dutzend Schilderbrücken aus Stahl überspannen hier die Fahrbahn. Über jeder Fahrspur hängen in fünf Meter Höhe Antennen und Kameras – neueste technische Errungenschaften, um den Verkehr lückenlos erfassen und überwachen zu können.

Zehn Firmenkonsortien aus Westeuropa und den USA sind an dem weltweit größten Versuch beteiligt. Bei den meisten Systemen, wie dem von ANT Bosch oder Alcatel, läuft der Datenaustausch zwischen Auto und Mautstation per Mikrowellen. Für den Autofahrer kein Grund zur Besorgnis – niemand werde geschmort, versichert Raimund Demski, Abteilungsleiter beim TÜV. „Die Feldstärken liegen alle weit unter den erlaubten Grenzwerten.“

Konkurrenten wie Siemens dagegen versuchen, die Gebühr über Infrarot-Strahlung einzuziehen. Der Düsseldorfer Mannesmann- Konzern kupferte ein System aus der US-Militärforschung ab: Autofahrer werden per Satellit geortet und zur Kasse gebeten. Lediglich die Überwachung findet vom Boden aus statt.

Im Versuchszentrum, dem abgesperrten Rastplatz „Im Eichskamp“, beobachten Ingenieure des TÜV und der Firmen seit ein paar Tagen die ersten Probefahrten. Mehrmals täglich sausen die Testfahrzeuge unter den Schilderbrücken hindurch. Neben PKW will man auch Tanklastzüge, Busse und Wohnwagen auf die Strecke schicken.

Bis Mitte nächsten Jahres werde nicht nur untersucht, ob die Systeme zuverlässig funktionieren, sondern auch, wie verkehrssicher, umweltverträglich und wirtschaftlich sie seien, so Demski. Auch bei dem sensiblen Thema Datenschutz ist seiner Meinung nach einiges richtigzustellen. Tatsächlich soll nach Vorstellung des TÜV jeder Autofahrer in Zukunft selbst entscheiden, ob er die Gebühren mit oder ohne Großen-Bruder-Effekt zahlt. Wer es bequem haben will und sich um den Datenschutz nicht schert, läßt von seinem Konto abbuchen. Eine Art Scheckkarte an der Windschutzscheibe verrät der Mautstation Name und Kontonummer. Die Route einzelner Personen ließe sich so lückenlos nachvollziehen. Anonymer geht es über eine Chipkarte. Ähnlich einer Telefonkarte wird sie nach und nach entwertet. Bei beiden Systemen muß der Autofahrer für das zigarettenschachtelgroße „on-board- unit“ etwa 100 Mark hinblättern, schätzt Demski – vorausgesetzt, die Technik käme in großen Stückzahlen auf den Markt: 40 Millionen Fahrzeuge sind zur Zeit in der BRD angemeldet, 250 Millionen in der europäischen Union.

Verärgert sind die Ingenieure des TÜV über die Presse. Vorsätzlich sei über die Überwachungstechniken falsch berichtet worden, moniert Raimund Demski. Er will bewußt Angstschwellen abbauen, wenn er über die Videoanlagen sagt: „Dies ist zu vergleichen mit Radarfallen.“ Wenn die Anlage „nicht bezahlt“ meldet, dann wird geknipst. Doch unter Fachleuten ist umstritten, ob auch bei hohen Geschwindigkeiten die Kennzeichen überhaupt sicher erkannt werden können.

Der finanzielle Aufwand für die Bundesrepublik beträgt rund fünf Milliarden Mark, meinen Kritiker. „Diese Zahlen scheinen wesentlich zu hoch eingeschätzt“, kontert der TÜV-Ingenieur.

Elektronische Abkassierer sind weltweit auf dem Vormarsch: Singapur testet sie, in den USA gibt es sie schon, und auch England startet ebenfalls einen Versuch. Kein Wunder, daß die am Bonner Feldversuch beteiligten Firmen das große Geschäft wittern. Untereinander geben sie sich kooperativ: Der Kuchen sei groß genug zum Teilen. Marion Wigand