: Nicht weit zur Museumsinsel
■ Medienkunst zwischen Technik und Langeweile: „Borderlines“ zeigt selbstgenügsam den Schnee von gestern
Neues Glück unter neuer Adresse? Zwei Monate ist es her, daß der Neue Berliner Kunstverein umgezogen ist. In der Chausseestraße im Bezirk Mitte steht dem NBK, der am Kurfürstendamm in den vergangenen Jahren zunehmend ins Abseits geraten war, eine attraktive, 200 Quadratmeter große Ladengalerie zur Verfügung. Und nicht nur das: Auch Artothek und Video-Forum, früher in der Schlüterstraße untergebracht, befinden sich jetzt im selben Haus. Von hier ist es nicht weit zur Museumsinsel; Tacheles, Kunst-Werke e.V. und ein gutes Dutzend privater Galerien in der Auguststraße liegen quasi um die Ecke. Zumindest räumlich gesehen ist der seit rund 20 Jahren von Lucie Schauer geleitete Kunstverein mittendrin.
Mit der Ausstellung „Borderlines“, einer Übernahme von den „Frankfurter Fototagen“, gibt der NBK nun so etwas wie seine Visitenkarte ab: In den kommenden Monaten will man sich noch häufiger dem Schwerpunkt Fotografie widmen. Bei den „Frankfurter Fototagen“ wiederum handelt es sich um eine Initiative der Privatwirtschaft. Die im September 93 erstmals in Zusammenarbeit mit dem Museum für Holographie und neue visuelle Medien in Pulheim bei Köln veranstaltete Schau wurde finanziert von rund 50 Firmen – von A wie AEG bis Y für die Werbeagentur Young & Rubicam. An der Berliner Version von „Borderlines“ nehmen 33 Künstlerinnen und Künstler teil, halb so viele wie in Frankfurt.
Schon der Name deutet an, daß es bei dem Projekt um Grenzbereiche von Holographie, Video, Computergraphik und Fotografie geht – mit starker Betonung der verschiedenen Techniken. Und damit ist „Borderlines“ eigentlich eine durch und durch altmodische Ausstellung. Denn auch im Bereich der sogenannten neuen Medien ist das selbstgenügsame Zurschaustellen technischer Neuerungen längst Schnee von gestern.
Genau darauf aber beschränkt sich „Borderlines“: Hier sieht man die Sphinx von Charlotte March und Peter Maltz, ein täuschend echtes, freilich am Computer zusammengestückeltes Mischwesen aus Mensch, Vogel und Raubkatze. Das ist platter Illusionismus, mehr nicht. Oder das „Selbstportrait von Hans Drop“ von Hans Drop: Da feiert die Bauhaus-Fotografie, knapp achtzig Jahre nach ihrer Erfindung, fröhliche Urständ. Ähnlich weit zurück greift Annegret Soltau mit ihrer vernähten Fotocollage. Die dadaistischen Kabinettstückchen von Hannah Höch lassen grüßen.
Wieder andere wie die Italienerin Alba d'Urbano haben sich offenbar ganz in den Möglichkeiten des Videomischpultes verloren. Herausgekommen sind Effekte, die einem normalerweise zwischen den Werbeblöcken der Vorabendserien entgegenschreien. Die besten Beiträge der an Höhepunkten nicht sonderlich reichen Frankfurter Schau indes werden dem Berliner Publikum vorenthalten: so fehlen die konzeptuellen, witzigen Fotoarbeiten des „Amts für Wahrnehmungsstörungen“, hinter dem sich der Ostberliner Kurt Buchwald verbirgt. Schmerzlich vermißt man auch den gebürtigen Berliner Timm Ulrichs oder Andrea Fraser, Christian Philip Müller und Gerwald Rockenschaub. Das Trio hatte Österreich auf der letztjährigen Biennale in Venedig vertreten. Daß man statt dessen Arbeiten von Adib Fricke zeigt, ist zwar schön, macht aber die Sache im ganzen gesehen nicht besser.
Was im Bereich Video, Fotografie und Computerkunst bereits in den achtziger Jahren für Aufsehen gesorgt hat – etwa die Arbeiten der Becher-Schüler Thomas Ruff, Thomas Struth oder Andreas Gursky, die Videos der Amerikaner Bruce Naumann und Gary Hill –, das ist in „Borderlines“ nur als Abklatsch aus zweiter und dritter Hand zu sehen. Das Gegenteil von gut bleibt gut gemeint. Ulrich Clewing
„Borderlines“, bis 2.7. im NBK, Chausseestraße 128/129, Mitte. Di/Do 12-20 Uhr, Mi/Fr 12-18 Uhr, Sa 12-16 Uhr
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