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■ Düsseldorfer Geschäftsleute räumen aufNieder mit den Maiglöckchen!

Düsseldorf (taz) – Jetzt geht auch auf Düsseldorfs Edelmeile, der Königsallee, ein Gespenst um, das Gespenst des Lumpenproletariats. Unappetitliche Typen aller Nationen verderben dem solventen Besucher den Flanier- und Shoppingspaß. Das befürchten jedenfalls ansässige Geschäftsleute. In einem derzeit zirkulierenden Brief, er war nicht für die breite Öffentlichkeit bestimmt, macht die Interessengemeinschaft der Kö- Anlieger gegen „Bettler, Musikanten, wilde Verkäufer und abstoßende Figuren“ mobil. Da die Stadt der Plage tatenlos zusehe, sei Selbsthilfe angesagt: Ein privater Sicherheitsdienst, finanziert aus einer Umlage (250 Mark monatlich für Geschäfte im Erdgeschoß, 100 Mark für die anderen), solle „die sozialen Randgruppen zurückdrängen“ und „von 10 bis 18 Uhr täglich die unerwünschten Personen verweisen“. Der Präsident des Einzelhandelsverbandes und CDU-Ratsherr Friedrich Conzen steht stramm hinter dem Anlieger- Anliegen. Es gehe nicht an, meinte er, daß die Kundschaft an den Ladeneingängen über Bettler, Hausierer und Aussteiger „erst halb drübersteigen“ müsse. Die Wachfirma hat bereits im Dezember (süßer die Kassen nie klingen) einen „Probelauf“ auf dem Boulevard absolviert, um zu demonstrieren, wie effektiv sie sich auf das Randgruppen-Rollback versteht.

Wäre die zivile Sheriff-Truppe schon im Dauereinsatz, was jedoch aufgrund noch zu klärender Modalitäten nicht der Fall ist, so böte sich ihr im jetzigen Wonnemonat Mai, sagen wir an einem belebten Freitagnachmittag, etwa folgende strategische Situation: An der obersten Straßenecke lagert ein Obdachlosenpärchen mit Schäferhund und Handwebrahmen, auf dem gerade das „Abendmahl“ entsteht; über das bereitgestellte Geldtöpfchen braucht niemand hinwegzusteigen, auch nicht über seine Besitzer, zumal da kein Laden in direkter Nähe liegt. Ein Stück weiter, vor der eher öden Schaufensterfront eines Bekleidungshauses, geigt ein Rollstuhlfahrer aufgekratzte Weisen; Passanten leisten ihm dabei immer wieder mit Tänzelschritten und Spenden Vorschub. Am U-Bahn- Aufgang hat sich's ein Männlein mit Krücke, arglistig zwischen „Normalbürger“ plaziert, gemütlich gemacht. Ein Ausländerjunge bietet vor einer Ladenpassage Maiglöckchen an; immer wieder kaufen ihm Arglose ein Sträußchen ab. Genau an der Demarkationslinie zwischen Juwelier und Auktionshaus kauert eine magere Gestalt mit Kopftuch. „Mein Mann ist im Bosnien-Krieg“, steht auf dem Pappschild. Nebenan geht gerade ein Rubinarmband für lumpige 6.000 Mark weg. Wieder ein paar Schritte weiter umgarnt ein Scientology-Jünger im roten Sakko ahnungslose Damen. Neben einem Straßencafé haben sich zwei Musikstudenten aus St. Petersburg mit Klarinette und Fagott aufgebaut und liefern den Kuchen- und Sahnespachtlern zum Nulltarif gediegenen Mozart. Hundert Meter weiter zeigt eine ausgebuffte estnische Dixielandtruppe den Düsseldorfern, was ein Boulevardblues ist. Münzen klimpern im Posaunenkasten, und doch scheint noch genug Kaufkraft für die hochhackigen und -preisigen Damenschuhe im Laden gegenüber übrigzubleiben. Man sieht: Der Bettler, Musikanten, wilden Verkäufer und abstoßenden Figuren auf der Kö sind tatsächlich so manche, und dabei haben wir die Behinderten, Bierbäuche, Prostituierten usw. noch nicht einmal mitgezählt. Ein reiches Aufgabenfeld erwartet „Guck & Greif“ und jede Menge delikate Zweifelsfälle. Doch entschiedener Einsatz kann sie wahr machen, die Utopie von der cleanen Kö – ohne Penner und Papptafeln, ohne Mozart und Maiglöckchen. Waidmannsheil! Olaf Cless

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