Des Stümpers Meisterstück

Der AC Mailand gewinnt durch ein berauschendes 4:0 gegen den FC Barcelona das „Jahrhundertfinale“ im Europapokal der Landesmeister  ■ Von Matti Lieske

Berlin (taz) – Selbst ein Schoßkind des Glücks wie Johan Cruyff mußte am Mittwoch abend einsehen, daß gegen Silvio Berlusconi derzeit offenbar kein Kraut gewachsen ist. Just zu der Zeit, als der italienische Senat dem Hobbypolitiker und seiner kryptofaschistischen Regierung mit einer Stimme Mehrheit das Vertrauen aussprach, bekamen die Fußballer seines AC Mailand, die soeben den FC Barcelona in drastischer Manier mit 4:0 vom Platz gefegt hatten, in Athen den Europapokal der Landesmeister überreicht.

In der spanischen Meisterschaft hatten Cruyffs Barcelonesen dreimal hintereinander am letzten Spieltag dank fremder Mithilfe den Titel geholt, gegen Milan waren sie jedoch auf sich allein gestellt, und alles Glück der Welt hätte ihnen nichts geholfen gegen den übermächtigen italienischen Meister, der sein wohl bestes Spiel seit den glorreichen Tagen des holländischen Trios Gullit, Rijkaard, van Basten absolvierte.

Erstaunlich war nicht nur die technische und moralische Unterlegenheit der Katalanen, sondern es verblüfften vor allem die taktischen Defizite beim Duell des mit allen Wassern gewaschenen Erfolgstrainers Johan Cruyff gegen den blassen Fabio Capello, der bislang eher als ein Stümper von Berlusconis Gnaden galt. Beim Aufeinanderprallen der beiden effektivsten Spielsysteme Europas war der FC Barcelona hoffnungslos verloren. Während Milan gemeinhin das Risiko scheut, aus einer dichten und sicheren Deckung heraus angreift und meist nur genau das Tor schießt, das zum Sieg fehlt, heißt Cruyffs Credo Ballbesitz und Angriff. Seine vielfüßige Mittelfeldreihe ist weit vorn postiert, der Ball läuft permanent wie am Schnürchen von einer Seite zur anderen, bis sich die Lücke zum entscheidenden Durchbruch bietet. Geht der Ball verloren, ist die Mini-Abwehr um den langsamen Libero Ronald Koeman allerdings oft in großer Not. Auf diese Weise hat Barcelona in der spanischen Liga zwar 91 Tore geschossen, aber auch 42 kassiert, 24 mehr als der Fast-Meister aus La Coruña.

Gegen den AC Mailand ging der Ball ständig verloren. Die auch ohne Franco Baresi perfekt organisierte Abwehr ließ den beiden Spitzen Romario und Stoitschkow kaum die Luft zum Atmen, ihr dynamisches Forechecking versetzte das Barça-Mittelfeld in ständige Panik, Marcel Desailly verbreitete, wo immer er auftauchte, und das war fast überall, Angst und Schrecken in den blau-roten Reihen, und vorn waren Donadoni, Massaro und vor allem Europas bester Mittelfeldspieler, Dejan Savicevic, ihren Kontrahenten an geistiger und körperlicher Beweglichkeit so überlegen wie ein junger Maradona einem pensionierten Augenthaler. „Es fällt mir im Moment schwer, zu sagen, was wir alles falsch gemacht haben“, zeigte sich Cruyff ratlos. „Vielleicht hatten wir zu wenig Angst.“

Bereitwillig hatte der Niederländer zuvor die Rolle des Favoriten übernommen und keine Gelegenheit ausgelassen, zu verkünden, wie gut es für den Fußball wäre, wenn der FC Barcelona bewiese, daß ein offensives, technisches Team gegen eine Mannschaft von Rennern gewinnen kann. Im Olympiastadion von Athen war es jedoch genau umgekehrt. Milan stürmte, und Barcelonas Spieler rannten – meistens hinterher. Auch der Fußballästhet Cruyff dürfte wenig an dem auszusetzen gehabt haben, was die Mailänder den 80.000 Zuschauern darboten. Sie hatten aus dem verkorksten Finale des Vorjahres, als sie sich gegen Marseille nur in Destruktion übten und 0:1 verloren, eine Menge gelernt und spielten von Beginn an sehr angriffsfreudig.

Ein rasantes Solo des nie zu stoppenden Savicevic führte in der 22. Minute zum 1:0 durch Daniele Massaro, danach deutete Romario mit einem von Galli gerade noch abgelenkten Schuß an, was hätte passieren können, wenn es seine Mitspieler geschafft hätten, ihm ab und zu den Ball zu geben; in der 45. Minute war es wieder Massaro, der nach einem überaus gescheiten Rückpaß von Donadoni mit Volleyschuß das 2:0 erzielte.

Alle guten Vorsätze des FC Barcelona für die zweite Halbzeit schmolzen schon in der 48. Minute dahin, als Savicevic per Heber über Torwart Zubizarreta hinweg das nächste Mailänder Tor herbeizauberte, nach Desaillys 4:0 in der 58. Minute ließ es Milan dann ruhiger angehen und gab den resignierenden Katalanen Gelegenheit, das zu tun, was die Zeitung El Mundo als ihre einzige positive Errungenschaft an diesem Abend lobte: „Das Beste an Barça war die Eleganz, mit der es die Niederlage eingesteckt hat, ohne die Fassung zu verlieren und ohne sich schlecht zu benehmen.“

FC Barcelona: Zubizarreta - Ferrer, Koeman, Nadal, Sergi (73. Estebaran) - Beguiristain (52. Eusebio), Bakero, Guardiola, Amor - Stoitschkow, Romario

Zuschauer: 80.000; Tore: 1:0 Massaro (22.), 2:0 Massaro (45.), 3:0 Savicevic (48.), 4:0 Desailly (58.)

AC Mailand: Rossi - Panucci, Galli, Maldini (84. Nava), Tassotti - Donadoni, Albertini, Desailly, Boban - Massaro, Savicevic