Angeln nur ab 50 Jahre

Das Projekt „Nationalpark Unteres Odertal“ stößt auf den Widerstand der betroffenen Bürger  ■ Von Anja Sprogies

Seit über zwei Jahren versperrt eine Schranke die Zufahrt vom brandenburgischen Dörfchen Zützen in den geplanten Nationalpark „Unteres Odertal“. „Einstweilige Sicherung“ wird die Maßnahme im Potsdamer Umweltministerium genannt. Doch Andreas Post (23) ist das egal. „Die Ökos hab' ich schon lange dick“, sagt er, gibt Gas und lenkt seinen nagelneuen, dunkelroten Jeep links an der Schranke vorbei, zwischen Bäumen hindurch auf den Damm, der Zützen vor dem Hochwasser der Oder schützt. Nur wenige Meter geht die verbotene Fahrt.

Post hält an und zeigt auf eine einzigartige Auen- und Wiesenlandschaft. Fast kitschig steht ein Weißstorch im Gras. Für die „Ökos“ ist das hier die letzte Flußauenlandschaft in Mitteleuropa, die noch in großen Teilen intakt geblieben ist. Für Post ist es schlicht Weideland. „Über 200 Hektar gehören meinem Onkel.“ Post ist stolz. Und in den nächsten Tagen, wenn die Felder ganz trocken sind, werden hier die zweihundert Rinder des Onkels grasen.

Der Onkel, das ist Dietmar Frenzel aus Zützen, hat hier nach der Wende 250 Hektar Land gepachtet und drei Ställe gekauft. In einem Stall mästet Frenzel zur Zeit 15.000 Enten, in dem anderen befindet sich „Ostdeutschlands größte Araberzucht“ (Frenzel).

Neunzig Prozent der Pachtfläche des Landwirtes liegen auf dem Gebiet des künftigen Nationalparks. Eigentlich stört das Frenzel nicht. Momentan bekommt er nämlich 420 Mark pro Hektar Entschädigung vom brandenburgischen Landwirtschaftsministerium und von der Nationalparkverwaltung. „Das Geld ist dafür, daß ich erst zu bestimmten Zeiten mähen darf, daß ich keinen Dünger verwende und keine Milchkühe halte“, meint Frenzel, der stolz darauf ist, daß sein Vater in Zützen die LPG gegründet hat und „ich sie 1990 wieder aufgelöst habe“.

Das Problem ist, daß Frenzel mehr Geld haben will, „weil ich doch erhebliche Einbußen“ durch den Nationalpark habe. Endgültig wird er sich erst mit dem Nationalpark einverstanden erklären, „wenn alle Bauern die gleichen Subventionen kriegen“. Seine Nachbarin bekomme nämlich eine höhere Entschädigung, ärgert sich Frenzel. 600 Mark pro Hektar will er für einen Zeitraum von zwanzig Jahren vertraglich zugesichert bekommen. Erst dann würde er Ruhe geben.

Das deutsch-polnische Nationalparkprojekt erstreckt sich von Hohensaaten bis Stettin, das sind sechzig Kilometer. 9.500 Hektar sollen auf deutscher Seite und 5.600 Hektar auf polnischer als Nationalpark festgeschrieben werden. Als „Nationalparkregion“ werden im deutschen Grenzgebiet weitere 15.000 Hektar und im polnischen 18.400 Hektar ausgewiesen. Die Region soll „den Kernbereich des Parks durch naturverträglichen Tourismus und ökologisch orientierte Landwirtschaft abschirmen“, erklärt der Pressesprecher der Nationalparkverwaltung in Schwedt, Hans-Jörg Wilke. Sie umfaßt fünfzehn Dörfer und ebenso viele Seen.

Der Kernbereich des Nationalparks ist die Oderaue mit ihren angrenzenden bewaldeten Hängen. Innerhalb von fünfzehn Jahren sollen über 50 Prozent dieses Bereichs zu einem Totalreservat (Zone 1) erklärt werden. Nur dann nämlich kann die Anerkennung durch die IUCN (International Union for Conservation of Nature and Natural Resources) erfolgen. Diese Auszeichnung hat in Deutschland bisher nur der Bayerische Wald erhalten. Im Totalreservat soll nach Wilke „die Natur sich vollkommen selbst überlassen und vor menschlichem Zugriff geschützt werden“. Lediglich auf den bereits vorhandenen Fuß- und Gehwegen dürfen die Besucher „Natur erleben“.

Bauer Frenzel hat insofern Glück. Sein Land gehört zwar zum Kernbereich, aber nur zur Zone 2. Hier wird auch in Zukunft eine ökologische Bewirtschaftung erlaubt sein. Das heißt: Frenzels Rinder dürfen weiter naturgeschütztes Gras fressen.

Obgleich schon zu Honecker- Zeiten über Naturschutzregelungen nachgedacht worden war, gelten Michael Succow, der stellvertretende Umweltminister der Übergangsregierung Modrow, und auf polnischer Seite Mieczyslaw Jasnowski als Väter der Nationalparkidee. 1991 verlieh die Stiftung Kulturförderung dem Projekt den mit 100.000 Mark dotierten Deutschen Kulturpreis.

Im März 1992 unterschrieb Brandenburgs Umweltminister Platzeck eine Verordnung zur „einstweiligen Sicherung“ des geplanten Nationalparks. „Die Sicherung soll den gegenwärtigen naturnahen und natürlichen Zustand des Gebietes erhalten und Zeit für eine gründliche Nationalparkgründung gewinnen“, hieß es in der Verordnung. Wenige Monate später wurden Schranken auf den Zufahrtsstraßen zum Nationalpark aufgestellt.

Am 1. April 1993 hat auch die polnische Seite das vereinbarte Gebiet als Landschaftspark entsprechend der IUNC-Vorschriften gesichert. Problematisch ist laut Wilke allerdings, daß die Polen noch keine funktionierende Verwaltung und keine Mittel zur Verwirklichung des Parkes hätten. Das fehlende Geld der Polen ist freilich nicht das einzige Problem geblieben. Denn nun beginnt auch auf deutscher Seite die Angst vor der eigenen Courage zu wirken. Kurz vor dem entscheidenden Schritt, der gesetzlichen Verankerung des Nationalparks, bekommen Brandenburgs Politiker weiche Knie. Sehnsüchtig warten die Beschäftigten der Nationalparkverwaltung darauf, daß das Gesetz endlich vom Potsdamer Landtag verabschiedet wird. Aber bisher ist noch nicht einmal ein Entwurf im Kabinett beraten worden.

Der Grund: Die Fronten zwischen Umweltminister Platzeck (parteilos) und Landwirtschaftsminister Zimmermann (SPD) haben sich verhärtet. Bauern hatten moniert, daß sie zugunsten von Totalreservaten auf Nutzflächen verzichten sollen. Zimmermann – in dieser Sache ganz Lobbyist der Agrarwirtschaft – rief die Bauern in einer legendären Rede vor einem Jahr sogar dazu auf, die von seinem Kollegen Platzeck errichteten Schranken niederzureißen.

Im Umweltministerium beharrt Matthias Platzeck dagegen darauf, „mit Hochdruck an dem Projekt zu arbeiten“ und das Gesetz noch in diesem Jahr zu verabschieden. Vor der Landtagswahl im September wird es damit aber wohl nichts mehr werden. Nachdem die Bündnis-Fraktion vor zwei Monaten die Ampelkoalition verlassen hat, hat der Minister fürs Grüne ohnehin einen schweren Stand.

Platzeck schlägt vor, die Bauern mit „Ausgleichsländereien“ oder Geldern für ihre Ertragsausfälle zu entschädigen. „Wir treiben keinen Bauern raus, sondern reden mit den Bauern und versuchen, individuelle Lösungen zu finden“, versichert auch Wilke.

Aber nicht nur die Landesregierung ist zerstritten. Auch die Interessen des Bürgermeisters von Schwedt, Peter Schauer, laufen den Nationalparkplanungen zuwider. Dabei ist Schwedt als Industriestandort aus dem Schutzgebiet herausgenommen worden. Doch Schauer plant quer durch den Nationalpark eine Straße, zu einem neu zu schaffenden Grenzübergang bei Ognica. Die Verbindung soll eine Aufwertung seiner Stadt im Handel bringen. „Der Raum in Richtung Osten ist unsere Chance“, meint Schauer und beklagt sich gleichzeitig über den Lkw-Stau, der jeden Donnerstag und Freitag am Rathaus vorbeizieht. Die Straße vom bisherigen Grenzübergang Dolny mündet nämlich direkt in der Stadt Schwedt. Die Strecke soll in Zukunft für Lkws verboten werden, fordert der Bürgermeister. Die neue Straße aber zeichnet Schauer quer durch das Nachbardorf Gatow auf einer Landkarte ein.

Die Naturschützer wehren sich vehement gegen das Vorhaben. Ein Mitarbeiter des Aufbaustabes Nationalpark „Unteres Odertal“: „Wir können mit dem lokalen Grenzübergang leben, der hat sowieso Bestandschutz, aber nicht mit einem neuen.“

Auch die Fischereigenossenschaft in Schwedt befürchtet erhebliche Einbußen durch den Nationalpark. „Über 50 Prozent des Gesamtaufkommens an verwertbarem Fisch werden durch den Nationalpark wegfallen“, schätzt ihr Vorsitzender Volker Wolf. Vier festangestellte Fischer, einen Rentner und einen Vorruheständler beschäftigt der Chef der Genossenschaft. „Wenn die vom Nationalpark extrem kommen, müssen wir laut brüllen“, kündigt Wolf an.

Gerade wird das Haus der Genossenschaft direkt an der Oder renoviert. Eine Räucherei wird gebaut und eine Verkaufsstelle, die bereits um 7 Uhr morgens öffnen soll. „Wir haben da viel hineingesteckt. Wenn der Nationalpark kommt, soll es im Bereich der Fischerei sowenig wie möglich Einschränkungen geben“, fordert Wolf.

Neben vier Fischereibetreiben und etwa dreißig betroffenen Landwirten laufen auch mehrere tausend Angler gegen den Nationalpark Sturm. Viele wollen mit dem Auto direkt an den deutsch- polnischen Grenzfluß fahren und dort ihrem Hobby nachgehen. Schon als die Schranken aufgestellt wurden, sei es zu „heftigen Protesten“ der Angler gekommen, erzählen die Naturschützer. Um die Gemüter zu beruhigen, habe man dann eine Sonderregelung getroffen: Anglern, die älter als fünfzig Jahre sind, war auch weiterhin das Befahren des geschützten Gebietes erlaubt. „Über 1.650 Ausnahmegenehmigungen haben wir bereits erteilt“, meint der stellvertretende Leiter des Aufbaustabes, Jochen Beschnitt. Die Angler hätten eigene Schlüssel zum Öffnen der Schranken erhalten.

Auch die Förster brachten kürzlich schriftlich Einwände gegen den Nationalpark vor. Sie werden nicht mehr gebraucht, wenn die Natur sich selbst überlassen bleibt.

Daß sich überall und immer noch weitere Bedenken finden lassen, beweisen zwei Mädchen aus Schwedt, die auf dem Hof von Dietmar Frenzel im Stall aushelfen. Dafür dürfen sie unentgeltlich reiten. „Letzte Woche ist so ein Berliner Öko-Fritze gekommen und hat uns wieder einen Reitweg verboten“, beschwert sich eine der beiden 18jährigen. „Wem schadet denn ein Pferd im Nationalpark?“ Und Neffe Michael Post: „Mein Onkel würde gerne einen Reiterhof aufmachen.“ Damit an den Wochenenden Berliner stündlich ins Totalreservat reiten können.

Viele Hunde sind des Hasen Tod. Das gilt vielleicht auch für einen Nationalpark.