Politkrise in Estland

■ Fünf Ministerrücktritte auf einmal / Regierungschef spricht von „Putsch“

Tallinn (taz) – Fünf Minister der estnischen Regierung haben gestern ihre Abschiedsgesuche eingereicht – darunter der Verteidigungsminister, sowie der Finanz- und der Justizminister. Offenbar wollen sie Ministerpräsident Mart Laar zum Rücktritt zwingen. Hintergrund sind interne Spannungen in der rechten Regierungspartei „Isamaa“ (Vaterland), der sowohl Ministerpräsident Laar als auch die zurückgetretenen Minister angehören. Laar zeigte sich entschlossen, die von ihm als „Putsch“ eingeschätzte Situation durchzustehen: Er werde im Amt bleiben, auch wenn alle 14 Minister zurücktreten.

Möglicherweise hat er dabei aber die Rechnung ohne den Staatspräsidenten gemacht: Lennart Meri muß Entlassungen genehmigen, und seit längerem gibt es zwischen ihm und Laar offene Spannungen. In Tallinn werden einem neuen Versuch Laars, mit neuen Gesichtern über die Runden zu kommen, nur geringe Chancen eingeräumt. Es wäre das dritte Mal binnen eines halben Jahres, daß die Regierung umgekrempelt würde. Meinungsumfragen signalisieren ihr einen katastrophalen Stimmeneinbruch seit den Wahlen. Nach den ökonomischen Mißerfolgen spielt vor allem das Bild eine Rolle, das die Koalitionsregierung nach außen abgibt.

Laars eigene Partei Isamaa, eine Schwesterpartei der CDU, hatte mit der konservativen „Koonderakond“ (Sammlungspartei) Gespräche über eine Koalition – und offenbar eine Ablösung Mart Laars – aufgenommen, ohne daß Laar davon wußte. Am Mittwoch hatte die Isamaa-Parteiführung Laar offen zum Rücktritt aufgefordert, was dieser ablehnte. Innerhalb der Isamaa wird Laars Politik dafür verantwortlich gemacht, daß die Partei sich von der Position der stärksten Formation bei den letzten Wahlen hin zu einer kleinen Splittergruppe bei den letzten Meinungsumfragen entwickelt, verantwortlich gemacht. Reinhard Wolff