Haft für türkische Kriegsgegner

■ Festnahmen nach öffentlicher Aufforderung zur Kriegsdienstverweigerung in Istanbul / Deutschen Pazifisten droht Abschiebung oder Prozeß / Militär stellt "Ultimatum" für 250.000 Fahnenflüchtige

Berlin (taz) – Gükhan Demirkiran ist an der Universität Istanbul kein Unbekannter. In den letzten Wochen sammelte der Student dort weit über 100 Unterschriften für das Recht auf Kriegsdienstverweigerung. Wer seinen Namen auf die Liste setzte, erklärte damit zugleich seine Absicht, nicht zur Armee zu gehen. Den türkischen Behörden war das pazifistische Treiben ein Dorn im Auge. Am Dienstag schlug die Polizei zu und verhaftete Demirkiran bei einer Kundgebung. Wenig später nahm sie acht weitere KriegsdienstgegnerInnen fest – darunter drei Deutsche – und räumte und versiegelte das Lokal des Istanbuler Vereins der Kriegsdienstgegner.

Demirkiran wartet jetzt in der Haft auf seinen Prozeß wegen „Aufwiegelung der Bevölkerung gegen das Militär“ – eine Handlung, die mit bis zu fünf Jahren Gefängnis bestraft wird. Bei der Polizei ist der Student geschlagen worden. FreundInnen sahen am Mittwoch abend, als Demirkiran dem Staatssicherheitsgericht vorgeführt wurde, die Blutergüsse und seine zerfetzte Kleidung. Den drei anderen inhaftierten Männern, die alle in der Friedensbewegung aktiv sind, stehen Verfahren wegen Verstoßes gegen das Veranstaltungsrecht und wegen „Aufwiegelung der Bevölkerung zum Aufstand“ bevor. Die übrigen Festgenommenen – zwei Türkinnen und drei Deutsche – sind am Mittwoch abend freigelassen worden. Die Deutschen – aus Anlaß des „Internationalen Tages der Kriegsdienstverweigerung“ am 15. Mai in die Türkei gereiste Pazifisten – mußten ihre Pässe abgeben und dürfen Istanbul nicht verlassen. Heute wollen die Behörden entscheiden, ob sie abgeschoben oder vor Gericht gestellt werden.

Für die gegenwärtig rund 250.000 Fahnenflüchtigen mit türkischem Paß lief gestern ein „Ultimatum“ ab, das ihnen das Militär gestellt hatte. Denen, die sich bis zu dem Stichtag nicht „freiwillig“ gemeldet haben, drohen Haftstrafen bis zu drei Jahren und der Zwang zur Ableistung des 15monatigen Militärdienstes. Im Widerspruch zu einer Empfehlung der UN-Menschenrechtskommission von 1989 gibt es in der Türkei kein Recht auf Kriegsdienstverweigerung. Schon wer seine Absicht zur Kriegsdienstverweigerung kundtut, macht sich strafbar.

In der Vergangenheit tauchten die meisten Verweigerer ins Ausland ab und erklärten von dort aus ihre Kritik an der türkischen Militärpolitik. Sicher ist diese Lösung allerdings nicht, denn die meisten Staaten – darunter auch Deutschland – betrachten Kriegsdienstverweigerung nicht als Asylgrund.

Seit Anfang des Jahres hat innerhalb der Türkei der Widerstand zugenommen. Während die Militärs ihre Einsätze in Türkisch-Kurdistan intensiviert, verweigern immer mehr junge Männer den Dienst mit der Waffe. Allein am 17. Mai, dem Tag, als Gükhan Demirkiran verhaftet wurde, konnten seine FreundInnen der Regierung in Ankara mehr als 100 derartiger Absichtserklärungen übermitteln. dora