Wegen „Peanuts“ wohlverdientes Scherbengericht

■ Wo Geschäfte nicht mehr undurchschaubar sind, lassen sich Managementfehler nicht mehr diskret zwischen versagenden Industrie-Vorständen und ihren Aufsehern ausbügeln

Am 31. März noch war Hilmar Kopper sehr bemüht, den Geschäftserfolg kleinzureden. „Im Inland haben wir ein ganz schlechtes Jahr gehabt“, behauptete der Deutsche-Bank-Chef, als er die Bilanz für das Jahr 1993 der Presse vorstellte. Niemand glaubte ihm. Gestern, vor den Aktionären, die an den Mißerfolgen der Bank-Vorstände herummäkelten, beschwor er das „erfolgreiche Geschäftsjahr“ – und wieder glaubte ihm niemand. Dabei hat Deutschlands mächtigster Angestellter völlig recht gehabt: Für die Deutsche Bank sind die Verluste aus der Schneider-Pleite peanuts.

Auf 555,6 Milliarden Mark lautet die offizielle Bilanzsumme. Weitere 1,3 Billionen Mark schleuste die Bank laut Kopper im sogenannten außerbilanziellen Geschäft durch ihre weltweiten Geldspeicher. Zwecks Steuerersparnis legten Kopper & Co. 3,3 Milliarden Mark zur Seite: Risiko-Vorsorge für Schneider-artige Pleitefälle, mit denen, so Kopper, nach knapp zwei Jahren Rezession zu rechnen sei. Trotzdem blieb dem Deutsche-Bank-Chef nichts anderes übrig, als einen Gewinn von 4,6 Milliarden Mark dem Finanzamt zu beichten, das 2,4 Milliarden davon dankbar in die Staatskasse übernahm.

Den Gewinn während einer tiefen Rezession um 23 Prozent gegenüber dem Vorjahr zu steigern – das ist auf jeden Fall ein erfolgreiches Geschäftsergebnis, eine Dividende von 16,50 Mark je Aktie ebenfalls kein Anlaß zur Klage. Die Aktionäre, zu 51,5 Prozent Institutionen und Unternehmen, 25,4 Prozent Arbeitnehmer und Pensionäre, können eigentlich zufrieden sein – 500 Schneider-Milliönchen hin oder her.

Das „Scherbengericht“, das nun über den Vorstand hereinbricht, haben sich die zwölf Herren und eine Dame dennoch selbst zuzuschreiben. Nach dem Krieg kauften sich die Deutschbankiers Beteiligungen an großen Industrieunternehmen, Versicherungen und anderen Kreditinstituten zusammen, zumeist in aller Stille. Von der Allianz-Versicherung über Daimler, Dynamit-Nobel, den Baukonzern Philipp Holzmann, Horten, Karstadt, Linde, Salamander, Südzucker bis hin zu WMF- Bestecken kassiert die Deutsche Bank Dividende. Ihre Vorstände sitzen häufig in zehn und mehr Aufsichtsräten – was den Verdacht nahelegt, daß sie sich um einzelne Konzerne schon aufgrund der Tatsache, daß ein Tag nur 24 Stunden hat, nicht immer ausreichend kümmern können.

Wie verfilzt die deutsche Großindustrie und die fünf größten Banken (Deutsche, Dresdner, Commerzbank, WestLB, Bayrische Wechsel- und Hypobank) sind, gelangt erst seit Mitte der 80er Jahre nach und nach in die Öffentlichkeit. Der Grund: Seit die Großbanken und immer mehr Firmen als global player auf dem von den USA dominierten Weltmarkt mitspielen wollen, müssen sie auch die Regeln beachten – und eine davon heißt Transparenz. Gerade den Deutschbankiers wurde ihr Image, der personifizierte deutsche Filz zu sein, zunehmend hinderlich. Die neuen, offeneren europäischen Bilanzrichtlinien erfüllte die Deutsche Bank darum in diesem Jahr schon freiwillig, ebenso nannte sie die erwähnten außerbilanziellen 1,3 Billionen.

Nun allerdings kämpft Kopper mit der Kehrseite: Wo die Geschäfte nicht mehr undurchschaubar sind, lassen sich auch Managementfehler nicht mehr so diskret zwischen Industrie-Vorständen und ihren Banken-Aufsehern ausbügeln. Ein Aufsichtsrat müßte sein Amt also viel ernster nehmen: Wenn etwas schief gegangen und eine renommierte Firma pleite ist – dann steht der Aufseher als Versager im Rampenlicht.

Daß es ausgerechnet der Fall Schneider ist, der die unterschwellig brodelnde Kritik an „den Banken“ bis zum öffentlichen Skandal eskalieren ließ, ist für die Herren Kopper & Co. offenbar schwer verständlich: Schließlich sitzen sie dort nicht im Aufsichtsrat, wie bei der Metallgesellschaft, sondern haben dem Pleitier nur leichtsinnig Kredite hinterhergeschmissen.

Letztlich zeigt Koppers Verwirrung darüber nur, wie sehr sich Großbanker bisher vor der Öffentlichkeit abschotten konnten. Schließlich enthält die Schneider- Pleite außer Sex alle Zutaten für einen richtig guten Skandal: Der Täter ist ein Immobilienhai, das ideale Haßobjekt. Die Banken, deren Angestellte mit den kleinen Leuten um jeden Pfennig Dispokredit feilschen, eine noch so gute Geschäftsidee kaum je ohne immobile Sicherheiten unterstützen, stellen ausgerechnet Schneider ganz locker Millionenschecks aus. Ohne die Quadratmeter in den bekannten Gebäuden auch nur grob nachzumessen. Der Betrüger verschwindet mit Geldkoffern. Er trägt ein Toupé, residiert in einem Schloß. Arme Handwerker bleiben auf offenen Rechnungen sitzen.

Dagegen verblassen natürlich die größeren Skandale, wie der um die Metallgesellschaft. Sogar dann, wenn dabei nicht bloß ein paar Unternehmern Gewinne entgehen, sondern Tausende Arbeitsplätze verschwinden. Donata Riedel