Zynisch -betr.: "Anwälte in der Ausländerbehörde unerwünscht", taz vom 30.4.94

Betr.: „Anwälte in der Ausländerbehörde unerwünscht?“, 30. 4. 94

Es wird dem Anwalt Geffken sicher kein Trost sein: Nicht nur Anwälte scheinen in der Ausländerbehörde unerwünscht, sondern spürbar und vor allem die AusländerInnen selbst!

Wer das Glück hat (oder diesbezüglich: das Pech), seine Freundin zum Ausländeramt begleiten zu dürfen, dem erschließt sich eine fein abgestimmte Palette strukturellen Rassismus').

Endlich das Spalier zynischer „Rausschmeißer“ am Eingang durchdrungen, sollten wir beim dritten Besuch innerhalb einer Woche und obwohl rechtzeitig zur Vergabe der Wartenummern erschienen, wieder einmal leer ausgehen: „Heute keine Wartenummern mehr!“ Die Sachbearbeiterin, umlagert von etwa fünfzehn gleichermaßen Betroffenen, kennt immerhin den Weg: „Sie können sich ja beim Gruppenleiter beschweren!“ Dort angekommen, sind wir nur noch zu dritt: ein deutschsozialisierter junger Mann aus der Türkei, eine Norwegerin (EG!) und wir.

Der Sachgruppenleiter bittet uns herein und nimmt sich immerhin die Zeit, viel „Verständnis“ für unseren Ärger zu zeigen: „...unvorhersehbarer Engpaß..., sonst sicher bis 8 Uhr Wartenummern, aber wenn Andrang groß..., leider keine Möglichkeit mehr, heute noch...“. Und dann sieht er doch eine Möglichkeit. „Brücke bauen“ heißt das hier. Wenn wir am nächsten Tag wiederkämen, würden wir bei ihm direkt garantiert eine Nummer erhalten. Unser Ärger ist noch nicht verraucht, also ziehen wir weiter, inzwischen allein. Der Leiter, immerhin ein Herr Dr., ist „nicht da“. Sein Stellverteter (Abschnittsleiter) legt noch rasch die Zeitung fort, kann aber nicht schnell genug einen reichhaltig mit Pralinen gedeckten Tisch verbergen (vielleicht hat er's ja aber auch nicht nötig!). Hier können wir so richtig Dampf ablassen: wieso nicht mehr Sachbearbeiter, warum falsche Auskünfte am Telefon, weshalb „Brücken“ nur für solche, die sich sprachlich und administrativ zu wehren wissen... Es tropft alles an ihm ab: Wir könnten doch mal an den Herrn Senator des Innern schreiben. Sie seien überlastet, vier Stellen wären unbesetzt, weil niemand diese Arbeit machen wolle. Unsere Hinweise, die Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung sei eine staatliche Auflage, die Antragsteller wären alle Steuerzahler und müßten Urlaub für den Behördengang nehmen, lassen ihn unbeeindruckt. Die von uns geforderte Bescheinigung über einen erfolglosen Besuch verweigert er hartnäckig.

Am nächsten Tag beschreiten wir dann doch die „Brücke“. Verabredungsgemäß erhalten wir unsere Wartenummer. Es ist die 112. Der übervolle Warteraum besteht aus zwei Zimmern, die durch eine leere Türöffnung verbunden sind. An der Seite des vorderen Raumes ist die „Schleuse“. Hier erscheint ab und an eine Sachbearbeiterin, ruft eine Nummer und zieht die Tür hinter dem jeweiligen Antragsteller wieder zu. Wir hören gerade noch die Nummer 103 und nehmen in der Ecke des hinteren Raumes Platz. Nach einer Weile fällt uns auf, daß sich an der Schleuse ein Pulk bildet. Wir gesellen uns dazu und stellen fest, daß inzwischen die Nummer 118 an die Reihe kommt. Erst beim dritten Anlauf kann ein in die Tür gestellter Fuß davon überzeugen, daß entweder die 112 gar nicht aufgerufen wurde oder nur so leise, daß dies im hinteren Raum nicht zu hören war.

Wir bekamen übrigens die Aufenthaltsbewilligung! Von unserer Seite des Amtsschreibtisches wechselten drei Papiere hinüber, von dort kehrte der Paß mit dem entsprechenden Kleber zurück. Das Ganze dauerte fünf Minuten und kostete uns neben der Gebühr bloße vier Besuche im Amt und wunde Ellenbogen sowie ein schlechtes Gewissen: Wie oft, so fragen wir uns seitdem, muß sich nämlich ein Mensch aus Irgendwo-in-der-Welt, ohne Sprachgewalt oder deutscher Begleitung und ohne spitze Ellenbogen in diese unsägliche Mühle begeben, damit er für nur ein weiteres Jahr in diesem „freundlichen“ Land leben, arbeiten und Steuern zahlen darf?