Fiese Amme

■ Interaktive Computerinstallation verschüttet Milch im Westwerk

In Berlin, Frankfurt und Köln war sie schon, jetzt stellt sich die „Amme“ dem Gespräch mit Hamburgern: „Wie geht es Dir hier in Hamburg?“ „Hier wird den Mensch bald die Bange ankommen!“ Solch düstere Prognosen in absichtlich falschem Deutsch äußert zur Zeit eine interaktive Computerinstallation des Potsdamers Peter Dittmer, die im Westwerk zu sehen ist.

An der Wand lehnen große Glasplatten mit graphischen Kürzeln zu Beziehungsfeldern, am Arbeitstisch steht der PC und in einer großen Vitrine befindet sich die Tischskulptur mit Glas, Pumpe und Milchvorrat. Die aufwendige Mechanik ist mit dem leicht reizbaren Rechner verbunden, der bei gesteigert nervösen Zuständen oder als Kommentar zu den Fragen der Besucher das Glas umkippen läßt und die Milch über den ganzen, stoffbespannten Operationstisch verschüttet. Doch die „Amme“ ist nicht wahllos freigiebig, der Computer ist ein hochkomplexer Schalter, der den eigentlichen Höhepunkt zu verzögern sucht.

Sein Produzent studierte in Dresden Performance, Film und Malerei, ging dann in die Regie- und Theaterarbeit und erlebte die überbordende Kunstproduktion nach der deutschen Vereinigung als ziemlich unsinnig. Peter Dittmer vertonte Brotfelder, arbeitete mit Lärm und wollte schließlich eine „Gesellschaft zur Verhinderung künstlerischer Ereignisse“ gründen. Einen Rest dieser Verhinderungsstrategie hat er jetzt seiner „Amme“ vermacht.

Als Reaktionen auf die eingetippten Fragen stehen dem Apparat fast 35.000 Antworten zur Auswahl, das ist Sprachstoff für mehr als vier handelsübliche Romane. Aus solchen Zahlen wird ersichtlich, daß die Arbeit zwar im Kunstbereich angesiedelt, im Kern jedoch eher literarisch ist. „Normalerweise sind ja schwer erkennbare, entbehrliche, solitäre Anstrengungen in der Kunst noch am besten aufgehoben – wegen der einigen Übung dort im Umgang mit entlegenen Ergebnissen, Ergebnissen für die Katz“, meint der 32-jährige Künstler. Aber der Anteil an Sprache ist immerhin so groß, daß Peter Dittmer letztes Jahr ein sechsmonatiges Stipendium der Heinrich-Böll-Stiftung bekam.

Die bisher über zweijährige Arbeit mit der Maschine hat auch einen ironisch-futuristischen Aspekt im Stil von Raumschiff Enterprise: So heißt ein Parameter, der die „Amme“ im Fortgang des Dialogs beeinflußt, der „PiPaPo-Operator“.

Der Künstler bemüht sich, den riesengroßen elektronischen Raum unkonventionell zu nutzen und Tentakel in andere Richtungen auszustrecken. Sein Programm bietet dazu bis zum Abschied genug freche Kommentare: „Tschüß - der Apparat wünscht Hals- und Beine brechen“.

Hajo Schiff

Westwerk, Admiralitätsstr.74, täglich außer Mo 16-21 Uhr, bis 29.Mai.