■ Das Verbrechensbekämpfungsgesetz ist die nahtlose Fortsetzung der Asyldebatte mit anderen Mitteln: Innere Sicherheit – innerer Frieden?
Johannes Gerster, Vizechef der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, kürte die Innere Sicherheit zum „wahlentscheidenden Schlüsselthema“. Die SPD zog nach, beschloß das Motto „Sicherheit statt Angst“ und plakatiert derzeit den Slogan „Die Mafia in Europa zerschlagen!“ Den Vorsprung der Union kann die SPD jedoch nicht einholen. Dort jagt seit knapp zwei Jahren ein Gesetzesvorschlag den anderen, Diskussionsbeiträge und Forderungskataloge werden geschickt in die Medien lanciert, hemmungslos wird Stimmungsmache betrieben.
Im Mittelpunkt des Interesses von Politik und Medien steht dabei die „Organisierte Kriminalität“ (OK). Um den Stellenwert der OK erhöhen und die entsprechende Angstkampagne unterfüttern zu können, werden die Grenzen zwischen OK und Alltagskriminalität als fließend bezeichnet. OK wird zunehmend als politischer Kampfbegriff verwandt, um entsprechende Vorhaben bis hin zur Aushebelung bürgerlicher Freiheitsrechte und Grundrechte durchzusetzen. Eine Definition der OK oder auch nur konkretes Zahlenmaterial über das Ausmaß ihrer Schäden sucht man dabei vergebens. Die OK löst letztendlich die alten Legitimationsformeln für die sicherheitspolitische Aufrüstung – „Kommunismus“, „Linksextremismus“ und „Terrorismus“ – ab.
Aber, egal ob „milieugerechtes“ Verhalten verdeckter Ermittler, ob großer oder kleiner Lauschangriff, ob polizeiliche Befugnisse für die Geheimdienste und nachrichtendienstliche Mittel für die Polizei – die Effektivität dieser Maßnahmen wird durchweg von Experten und Praktikern bestritten. Warum also das ganze Szenario?
„Wenn Verhältnisse schwieriger werden, muß sich die Leistungsfähigkeit der Politik steigern, sonst wendet sich das Volk ab“, weiß Innenminister Manfred Kanther. Und genau das zu verhindern ist sein Job. Kanther soll die selbsternannte Law-and-order-Partei am rechten Rand durch entsprechende Politik überflüssig machen. Ob es um die Forderung nach „taktisch-operativen Polizeieinheiten mit grenzüberschreitenden Zuständigkeiten“, nach „verdeckten täterbezogenen Ermittlungen im Vorfeld konkreter Taten“ oder nach lebenslänglich für Rauschgiftgroßhändler geht: „Republikaner“- und CDU-Programmatik sind inzwischen nahezu deckungsgleich. Solche Übereinstimmungen sind kein Zufall. Der ideologische Background der Vorhaben und deren Zielrichtung sind identisch. Bei den Sicherheitsgesetzen geht es nämlich um mehr, als den rechten Rand wieder in die Union zu integrieren. Es geht darum, eine Diskussion über die inneren Werte dieser Gesellschaft zu steuern und ein neues Staatsverständnis zu etablieren.
Die Rolle des ideologischen Vordenkers spielt dabei Wolfgang Schäuble. Im Mai 1991 hielt er auf dem Fachkongreß der CDU zur Inneren Sicherheit eine richtungsweisende Rede. „Nach der staatlichen Einheit gilt es nun, auch die innere Einheit herzustellen“, lautete seine Eingangsforderung. „Unser freiheitlicher Staat“ habe demnach nur dann Bestand, wenn es „inneren Frieden“ gebe. Den Störern dieses inneren Friedens sagte Schäuble dann den Kampf an. Dazu zählte er die Einwanderer („jede Gemeinschaft hat Grenzen ihrer Integrationsfähigkeit“), die Terroristen und die organisierten Kriminellen, aber, und das nannte er als erstes, jeden, der „sich nur selbst verwirklichen will und keine Rücksicht auf das empfindliche Sozialgefüge unseres Rechtsstaates nimmt“.
Grundsätzlich sei das „nationale Bewußtsein in Deutschland eher schwach entwickelt“, klagt der Mann hinter Kohl. Dies fehle uns, „um die sozialen Konflikte beherrschbar zu machen“. Die zentrale Frage laute, „ob unser Staat von uns allen noch als eine Schutz- und Schicksalsgemeinschaft verstanden wird, die die Bürger nach außen und innen sichert“. Damit der Staat aber wieder als „Schutzgemeinschaft“ verstanden werde, müsse er „die Innere Sicherheit in unserem Land gewährleisten“. Für Schäuble ist entscheidend, „ob wir diesen Staat und unsere nationale Gemeinschaft zureichend als eine Wertegemeinschaft verstehen“. In Deutschland spüre man „doch noch heute die Folgen aus den kulturrevolutionären Umbrüchen der 68er Jahre“. Für die von ihm konstatierte „moralisch-ethische Desorientierung“ hat Schäuble auch einen Schuldigen gefunden: den „recht oberflächlichen Begriff von Liberalität“.
In diesen programmatischen Aussagen sind die Vorgaben für die Einzelforderungen der verschiedensten Maßnahmen- und Forderungskataloge zur Inneren Sicherheit zu suchen. „Rückbesinnung auf nationale Identität“, „innerer Frieden“ und „innere Einheit“ – das ist die nahtlose Fortsetzung der Asyldebatte mit anderen Mitteln. Jetzt sind nicht nur die Flüchtlinge im Visier, sondern die AusländerInnen. Bei den neuen Sicherheitsgesetzen ist die Bestrebung, vor allem die „Ausländerkriminalität“ in den Vordergrund zu stellen, unübersehbar.
Das Schüren von Stimmungen hat Erfolg. In aktuellen Umfragen findet die Aussage: „Die Ausländer bringen Kriminalität in unser Land“ eine breite Zustimmung in Ost und West. Als Munition für die Stimmungsmache dient alljährlich die Veröffentlichung der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) mit ihrer – von den Statistikern auch selbst zugegebenen – nicht aussagekräftigen Auflistung der ausländischen Tatverdächtigen. Das Ziel der inneren Homogenität vor Augen, will die Union jetzt das Ausländerzentralregister oder das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge gezielt für Maßnahmen gegen die „Ausländerkriminalität“ ausstatten. Fieberhaft wird überlegt, wie auch anerkannte Asylbewerber abgeschoben werden könnten.
Diese rassistische Komponente zieht sich durch nahezu alle neuen Gesetzesvorschläge zur Inneren Sicherheit. Homogen im Inneren und abgeschottet nach außen möglichst mit Hilfe der Bundeswehr. Wieder war es mit Schäuble ein Mann aus dem Machtzentrum der Union und nicht irgendein Hinterbänkler oder Mitglied eines rechtskonservativen Zirkels, der Ende 1993 eine Grundgesetz-Änderung anvisierte, um den Weg freizumachen für die Diskussion über einen Einsatz der Bundeswehr im Innern gegen „weltweite Wanderungsbewegungen“.
Innerer Friede, das bedeutet für die Union auch automatisch starker Staat. „Freiheit des Bürgers und Autorität des Staates sind keine Gegensätze, sie bedingen einander“, heißt es im CDU-Programm. Im Kampf gegen die Kriminalität solle das Volk zu einem neuen Gefühl der Gemeinschaft finden. Deshalb plädiert die Union für die Einführung eines „freiwilligen Polizeidienstes“, damit jeder Bürger sich als „aktiver Sicherheitspartner seiner Nachbarn betätigen“ könne.
Eine derartige „innere Erneuerung unseres Volkes“ (O-Ton Rep-Chef Schönhuber) fordern nicht nur CDUler, sondern alle rechten Gruppierungen. Bezug genommen wird dabei auf die sogenannte „Konservative Revolution“ der Weimarer Republik. Vergleicht man die Art, wie und mit welcher Tendenz dies geschieht, mit den Diskussionen innerhalb der Union wird deutlich, daß diese Denktradition schon immer Teil des konservativen Gedankenguts war – früher in den Randbereichen, heute im Mainstream der Union.
Die Ideologie der „Konservativen Revolution“, dieser Mischung aus Jungkonservativen, Nationalrevolutionären und Völkischen, die die parlamentarische Demokratie der Weimarer Republik erbittert bekämpften und so zu Steigbügelhaltern für den Nationalsozialismus wurden, hat heute wieder Konjunktur. Deren Vorstellungen von einem autoritären, mittels Eliten geführten Staat, deren Ideal einer Volksgemeinschaft, deren biologistisches Weltbild mit der „natürlichen Ungleichheit der Menschen“ und deren Kampfansage an den Liberalismus haben den Rahmen rechtsextremer Zirkel längst verlassen.
Kein Wunder. Die Bundesrepublik steht vor einem finanz- und sozialpolitischen Scherbenhaufen, die Furcht vor Wohlstandsverlust wächst. Da wird eine ideologische Aufrüstung nach innen notwendig, um Konfliktpotentiale, die sich aus diesen Entwicklungen ergeben könnten, im Keim zu ersticken. Lösungsansätze und Denkmodelle wie die der „Konservativen Revolution“ bieten sich da an. Sie sind gegen Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit gerichtet. Neue gemeinschaftsstiftende Werte müssen also her, nachdem die Bedrohung durch den Kommunismus auch nicht mehr taugt. Die Deutschen sollen wieder damit zufrieden sein, Deutsche zu sein.
Sollte das als Sinnstiftung nicht ausreichen, erledigt den Rest dann der autoritäre Staat mit seinen jetzt zur Perfektionierung anstehenden Mechanismen und Machtmitteln.
Die innere Homogenität soll nicht nur durch die Abschottung nach außen, sondern auch durch die Ausgrenzung nach innen mit Hilfe von konzertierten Kampagnen und sicherheitspolitischen Maßnahmen gegen den Sozialmißbrauch, gegen Ausländer, Flüchtlinge und andere sog. Randgruppen hergestellt werden. Den dabei hinderlichen „fahndungsfreien Zonen“ (O-Ton CDU-Generalsekretär Peter Hintze) oder „gesetzlich gewollten Informationsdefiziten“ (O-Ton BKA-Chef Zachert) soll mit den Gesetzespaketen zur Inneren Sicherheit der Garaus gemacht werden. Bernd Siegler
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