In der Stahlbranche brodelt es wieder

■ EU-Kommission stellt den Plan zur Umstrukturierung der Stahlindustrie in Frage

Brüssel (taz) – Nach dem Paukenschlag des EU-Wettbewerbskommissars Karel van Miert, der am Mittwoch den Plan zur Umstrukturierung der europäischen Stahlindustrie für „ganz und gar tot“ erklärt hat, rätseln nun die Stahlhersteller, welche Konsequenzen das haben wird. Einige Unternehmen fürchten, daß sie nach einem Rückzug der Brüsseler Marktordner den Gesetzen des freien Marktes nicht gewachsen sein könnten. Gestern verdichtete sich in Brüssel der Eindruck, daß van Miert aus persönlicher Enttäuschung heraus ein wenig drastisch formuliert hatte und der Stahlplan in Wirklichkeit nur gefährdet ist. Der im Februar letzten Jahres gestartete Plan soll die marode Stahlwirtschaft durch den konzertierten Abbau von Produktionskapazitäten wieder rentabel machen. Rund 5 Millionen Jahrestonnen sollen durch staatlich subventioniertes Gesundschrumpfen einiger Stahlwerke abgebaut werden, weitere 13 Millionen sind von privaten Unternehmern zugesagt worden. Im Gegenzug versprach die EU-Kommission, die damit verbundenen 50.000 Entlassungen durch Umschulungs- und andere Sozialmaßnahmen abzufedern und den europäischen Stahlmarkt gegen Importe aus der Tschechischen und der Slowakischen Republik abzuschotten. Die 12 Wirtschaftsminister der EU-Mitgliedsstaaten haben den Plan nach zähen Verhandlungen und einigen Nachtsitzungen genehmigt. Die neuerliche Krise ist durch die unnachgiebige Haltung des Handelskommissars Sir Leon Brittan provoziert worden, der den Kollegen van Miert mit seinem Stahlplan an die Wand laufen ließ. Dem freihändlerischen Sir ist die planwirtschaftliche Stahlordnung ohnenhin unsympathisch. Als van Miert nun seine Kollegen bat, eine italienische Staatsbeihilfe von 413 Millionen Ecu an die Brescini-Werke zu genehmigen, die mehr als fünf Millionen Jahrestonnen weniger produzieren wollen, stellte sich Brittan stur. Zwar ist der Betrag angesichts der europäischen Subventionssitten lächerlich gering – üblich ist etwa das 15fache pro stillgelegter Stahltonne – aber nach den Statuten dürfe nur subventioniert werden, wenn die Werke nicht nur herunterfahren, sondern die Lichter ganz ausmachen. Und weil über die Hälfte der 17 Kommissarkollegen am Mittwoch Wichtigeres vorhatten, als zur wöchentlichen Sitzung zu kommen, konnte sich Brittan durchsetzen. Ohne die 5 Millionen Brescini-Tonnen ist der Stahlplan hinfällig. Aber da ist noch nichts entschieden. Vermutlich wird sich die Kommission, wenn alle da sind, einen Kompromiß ausdenken oder die zwölf Regierungen um eine Entscheidung bitten. Alois Berger