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In New York sucht die UN-Kommission für nachhaltige Entwicklung nach ökologischen Wegen ins 21. Jahrhundert  ■ Von Hermann-Josef Tenhagen

Berlin (taz) – In der Bundesrepublik weiß niemand genau, was nachhaltige Entwicklung eigentlich ist. Vor allem die Regierung gibt sich reichlich ahnungslos. Bei den Vereinten Nationen ist man da einen Schritt weiter. In New York diskutieren derzeit Vertreter von 53 Regierungen, wie man dem Ziel einer nachhaltigen Entwicklung näher kommen könnte.

Vorsitzender der UN-Kommission für nachhaltige Entwicklung (CSD) ist Klaus Töpfer. Der deutsche Umweltminister überbrückt den Spagat zwischen der Unschärfe des Begriffs und der internationalen Aufgabe mit einer Beunruhigungsstrategie. Wortgewandt parliert er über ökologischere Konsummuster und künstliche Ressourcenverknappung: „Wir können unseren Lebensstil nicht exportieren.“ Daheim hat die liberal-konservative Koalition solche Konzepte freilich längst in den Giftschrank verbannt.

Dennoch zeigt der Einsatz des Ministers in New York Wirkung. Töpfer verunsichert viele Vertreter derjenigen Regierungen und Industriekonzerne, die eisern an den alten Wachstumsmodellen festhalten. Schließlich steht jetzt immerhin ein Minister einer der größten Industriestaaten an der Spitze der CSD. Vor allem Manager müssen für alle Eventualitäten des 21. Jahrhunderts planen, wollen sie nicht ihren Job verlieren. Und Töpfers Konzepte gehen in diese Richtung, auch wenn sich die Bonner Koalition einen feuchten Kehricht um sie schert.

Konkrete Beschlüsse sind von der laufenden zweiwöchigen Jahressitzung der CSD jedoch nicht zu erwarten. Die Kommission soll zwar die Umsetzung der Beschlüsse von Rio überwachen und vorantreiben. „Aber sie ist kein Gremium, das bindende Beschlüsse fassen kann“, bedauert Stephan Singer vom World Wide Fund for Nature (WWF). Trotzdem klinken sich der WWF und die 70 im Arbeitskreis Umwelt und Entwicklung zusammengeschlossenen deutschen Nichtregierungsorganisationen in Töpfers Strategie ein. Von New York aus wird wiederholt, was sich hierzulande alles ändern muß: „Deutschland hat jetzt eine besondere Verantwortung, nachhaltige Entwicklung zu Hause umzusetzen.“

Aber nur parlieren und beunruhigen, das ist den Umwelt- und Dritte-Welt-Organisationen in New York allerdings zuwenig. „Wir wollen auch Druck machen, daß die anderen UN-Mitglieder zumindest einen Bericht vorlegen, wie sie mit den Empfehlungen der Agenda 21 umgehen“, sagt Someshwar Singh von WWF International. „Die größten Möglichkeiten für positive Veränderungen bieten immer noch die Nationalstaaten“. In dem mehrere hundert Seiten starken Dokument, das 1992 auf dem Umweltgipfel in Rio verabschiedet wurde, sind 2.500 Empfehlungen für eine ökologischere, gerechtere Gesellschaft des 21. Jahrhunderts zusammengefaßt. Erst 37 Regierungen haben überhaupt einen Bericht abgegeben. Und einige davon bestehen im wesentlichen aus heißer Luft. „Die beziehen sich nicht auf die Empfehlungen der Agenda 21, sondern schwafeln in hehren Worten von ihren Anstrengungen“, schimpft eine Beobachterin. Auch der bundesdeutsche, reichlich 70 Seiten starke Bericht glänzt nicht gerade durch Konkretion und Übersichtlichkeit: Das Schrumpfen der Entwicklungshilfe im Vergleich zur Wirtschaftsleistung wird vornehm umschrieben. Der Etat des Entwicklungsministeriums werde 1994 „annähernd“ das Volumen von 1993 erreichen. Die Hilfe werde „in der Nähe des Durchschnitts der OECD-Staaten“ liegen. Mit anderen Worten: Bei 0,35 Prozent des Bruttosozialprodukts, halb so hoch, wie die UNO seit Jahrzehnten fordert.

Verschleiert wird so, wie viele der 2.500 vorgeschlagenen Maßnahmen die Regierungen tatsächlich umsetzen. In der Bundesrepublik sei keine Umorientierung in den Kernbereichen wie der ökologischen Steuerreform, der Steigerung der Entwicklungshilfe oder der Chemiepolitik festzustellen, kritisierte die Projektstelle Umwelt und Entwicklung in ihrem Bericht. Weil die Bundesregierung „kein Konzept einer tragfähigen Entwicklung“ habe, könne sie ein anderes als das traditionelle Wachstumsmodell für das 21. Jahrhundert auch gar nicht erarbeiten.

In der Zwischenzeit haben die Nichtregierungsorganisationen die Hausaufgaben der Regierungen erledigt. „Wir haben 75 Indikatoren entwickelt, die messen sollen, welche Formen von Wirtschafts- und Gesellschaftsentwicklung nachhaltig sind und welche nicht“, erklärt Stephan Singer vom WWF. Dazu gehören Militär- und Entwicklungshilfeausgaben genauso wie durchschnittliche Lebenserwartung und Kindersterblichkeit. Zahlen über die Alphabetisierungsrate, den Pro-Kopf-Verbrauch an Wasser, Energie oder die PKW-Zahl pro 1.000 Einwohner, die Produktion von Müll und Treibhausgasen würden endlich erlauben, die Fortschritte einzelner Länder zu einer nachhaltigeren Wirtschaft zu messen. „Ein grünes Bruttosozialprodukt hilft da wenig. Wir brauchen ganz andere Bewertungskriterien wirtschaftlicher Tätigkeit.“

Die CSD hat sich auf Indikatoren bislang nicht einigen können, geschweige denn einlassen wollen. Und das, obwohl viele der Zahlen heute schon für andere UN-Gremien gesammelt werden müssen. Wenn einige Länder im kommenden Jahr zumindest mit den wichtigsten Indikatoren arbeiten würden, wären die Ökologen vom WWF schon sehr zufrieden.

Die Rahmenbedingungen für eine nachhaltigere Entwicklung sind zwei Jahre nach der Konferenz von Rio nicht günstig. Das zeigt sich nicht nur in Deutschland, vor allem wenn es ums Geld geht. In Rio hatten UN-Experten ausgerechnet, daß die Umsetzung der Agenda 21 über 600 Milliarden Dollar im Jahr kosten werde. Der Norden müßte dem Süden jährlich 125 Milliarden Dollar mehr überweisen als bisher. Davon ist bislang wenig zu sehen. Gerade einmal mickrige zwei Milliarden Dollar stehen für die nächsten drei Jahre in einem Extrafonds zur Verfügung – Peanuts für das 21. Jahrhundert.