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Bauernland in Westlerhand

CDU/CSU und FDP haben sich auf ein Entschädigungsgesetz verständigt / Sollte es im Bundesrat nicht noch zu Fall gebracht werden, droht in Ostdeutschland eine Landrevolte  ■ Von Dieter Rulff

Berlin (taz/AFP) – Anfang Mai stürzte in Bredentin ein Trupp von Alteigentümern das „Denkmal der demokratischen Bodenreform“ vom Sockel und versenkte es im Dorfteich. Seitdem ist in der kleinen Gemeinde nahe Güstrow in Mecklenburg-Vorpommern der Landfriede gestört. Für Friedmar Wießner steht fest: „Das ist wie Ausländerheime anzünden.“ Denn der Vorsitzende der Agrargenossenschaft weiß, „wer Denkmäler stürzt, greift vielleicht auch Menschen an.“ Kaum kleiner ist die verbale Keule, mit der einer der Denkmalschleifer zurückschlägt. „Das an den Bodenreformopfern begangene Unrecht zu leugnen“, befindet Bernd von Maltzan, „das ähnelt dem Leugnen der Verbrechen an den Juden.“

Der Chemiker erhebt Anspruch auf 800 Hektar Familienbesitz derer von Maltzan in Moltzow, die nach 1945 im Rahmen der Bodenreform als „Junkerland in Bauernhand“ übergingen. Insgesamt enteigneten die Sowjets seinerzeit in ihrer Besatzungszone 7.160 Güter, die größer als 100 Hektar waren, sowie 4.537 Betriebe unter 100 Hektar, die mutmaßlichen Nazis und Kriegsverbrechern gehörten. Sollte dieser Grund und Boden den Bauern nun wieder genommen werden, so verkündet bereits ein anonymes Flugblatt, das zur Zeit im Mecklenburgischen kursiert, würden Gehöfte geschleift, die Alteigentümer geteert und gefedert.

Solche mittelalterlichen Verhältnisse drohen, wenn das „Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz“ zur Geltung kommt, das der Bundestag gestern verabschiedet hat. In dem Paragraphenwerk wird minutiös geregelt, wer künftig Anspruch auf die 1,3 Millionen Hektar Land erheben kann, die sich zur Zeit noch in Treuhandbesitz befinden. 500.000 Hektar davon, so die Schätzung, werden wieder in die Hände der Alteigentümer übergehen. Ein Besitzwechsel, der ursprünglich nicht vorgesehen war, sondern Frucht eines dreijährigen hartnäckigen Lobbyismus ist.

Denn im Einigungsvertrag hatten die beiden deutschen Staaten festgelegt, daß die zwischen 1945 und 1949 unter sowjetischer Ägide vorgenommenen Enteignungen im geeinten Deutschland nicht revidiert werden sollten. Von dieser Bedingung, so hieß es seinerzeit, würde die Sowjetunion ihre Zustimmung zur deutschen Einheit abhängig machen. Dieses Verdikt wurde von den einstigen Eigentümern in dem Maße angezweifelt, in dem zugleich für alle übrigen Liegenschaften das Prinzip „Rückgabe vor Entschädigung“ festgeschrieben wurde.

Um ihrer Vorstellung von Gerechtigkeit zum Durchbruch zu verhelfen, zog ein Trupp von Ex- Großgrundbesitzern um den einflußreichen Vertriebenenfunktionär und CDU-Politiker Herbert Czaja vor das Bundesverfassungsgericht. Ihr Anliegen wurde höchstrichterlich abgeschmettert. Das BVG attestierte im Frühjahr 1991 den Regelungen des Einigungsvertrages Verfassungskonformität, da „vermögenswerte Rechtspositionen“ der Betroffenen nach dem Vollzug der Enteigungen nicht mehr bestanden hätten (1 BvR 1170/90), konzedierte den Betroffenen allerdings eine „Ausgleichsregelung“. Daraufhin ließen sich die Alteigentümer den Anspruch, den das Gericht nicht anerkennen mochte, von der Regierungskoalition in Bonn erfüllen.

Auf 18 Milliarden Mark wird die Gesamtsumme geschätzt, die zur Umverteilung ansteht. 3,4 Milliarden Mark davon erhalten die Vertriebenen, die in der ehemaligen DDR lebten. Gestaffelt nach Altersgruppen wird jeder der schätzungsweise 800.000 Leute bis 1998 einmalig 4.000 Mark erhalten. Zwei Milliarden Mark sollen den NS-Opfern zugute kommen. Mit der größten und umstrittensten Summe von 12,1 Milliarden Mark allerdings sollen die Interessen der zwischen 1945 und 1949 Enteigneten befriedigt werden.

Als Bemessungsgrundlage für ihre Entschädigung wird bei land- und forstwirtschaftlichen Flächen der dreifache Einheitswert von 1935 zugrundegelegt, bei Miet- und Geschäftsgrundstücken liegt er entsprechend höher. Die so erhaltenen Beträge werden bis 10.000 Mark voll anerkannt, oberhalb dieser Grenze degressiv gekürzt. Diese Entschädigungssummen werden in Schuldverschreibungen verbrieft und voll erst ab dem Jahre 2004 fällig.

Die Alteigentümer können jedoch auch bis zur Höhe ihrer Ausgleichsleistungen land- und forstwirtschaftliche Flächen kaufen. Soweit möglich, soll dieser am Einheitswert orientierte Vorzugserwerb aus ihrem ehemaligen Eigentum ermöglicht werden. Bei einem angenommenen durchschnittlichen Einheitswert von 1.000 Mark führen so 100 Hektar Alteigentum zum Erwerb von 29 Hektar, 500 Hektar Altbesitz erbringen 84 Hektar Neubesitz. Insgesamt stehen für die Befriedigung dieser Interessen 346.000 Hektar landwirtschaftliche Fläche und 164.000 Hektar Wald zur Verfügung. Heutige Pächter der Areale erhalten, wenn sie die gleichen Flächen beanspruchen, Vorrang.

Benachteiligt sind allerdings all die Bauern, die sich in Nachfolgebetrieben der ehemaligen LPGs, zumeist Genossenschaften oder GmbHs, organisiert haben, und die die Areale zur Zeit nutzen. Allein in Mecklenburg-Vorpommern sind das mehr als 80 Prozent der 34.900 Bauern, sie bewirtschaften zwei Drittel der 1,3 Millionen Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche. Sie sollen, nach dem Willen der Koalitionsfraktionen in Bonn, keinen Grund und Boden aus Bundesbesitz zu günstigen Bedingungen kaufen können. Wie Kanzleramtsminister Friedrich Bohl (CDU) erläuterte, bleiben die Einheitswertkonditionen den Alteigentümern und Privatpächtern vorbehalten. Um in den Genuß des Vorzugspreises zu kommen, so sieht es das Gesetz vor, müßten sich die juristischen Personen „Genossenschaft“ und „GmbH“ in natürliche Personen verwandeln. Bei dieser Umwandlung müßten die Landwirte allerdings auch persönlich haftend die Altschulden, die auf den Genossenschaften liegen, übernehmen.

Gegen diese Regelungen des Gesetzes revoltierten in den letzten Wochen die um ihr Klientel bangenden Ost-Parlamentarier der CDU. Daraufhin erklärten sich die Koalitionäre zu einer vermeintlich großzügigen Konzession bereit, die bei den Bauern allerdings den Verdruß über Bonner Politiker eher noch steigern dürfte. Den LPG-Nachfolgebetrieben wird, so die aktuelle Version des Gesetzes, für dreißig Prozent der Flächen, die sie vom Bund gepachtet haben, ein Vorkaufsrecht eingeräumt. Allerdings erhalten sie den Boden erst nachdem die Alteigentümer bedient sind, daß heißt sich die Rosinen aus dem Grundbesitz herausgepickt haben. Zudem müssen die Bauern dann dafür den Verkehrswert bezahlen. Dazu wird jedoch kaum einer der eh stark verschuldeten LPG-Nachfolgebetriebe in der Lage sein. „Reine Kosmetik“ nennt denn auch der mecklenburg- vorpommersche Landwirtschaftsminister Martin Brick (CDU) den Vorschlag. Dieser sei nicht akzeptabel. Alteigentümern und Privatpächtern hingegen wird Bundesbesitz zur Hälfte des Verkehrwertes angeboten, wenn ab 1995, nachdem Alteigentümeransprüche befriedigt sind, Treuhandland in einem Siedlungskaufprogramm angeboten wird.

Da nimmt es nicht wunder, daß Leute wie der Schweriner Landtagsabgeordnete Siegfried Friese (SPD) befürchten, daß es bei Verabschiedung des Gesetzes „bei uns Mord und Totschlag“ geben wird. Gegen den „Generalangriff auf ostdeutsches Bauernland“ will sowohl die Landesregierung in Schwerin als auch jene in Potsdam zu Felde ziehen.

Am 10. Juni wird das Gesetz im Bundesrat beraten. Soll es zu Fall gebracht werden, brauchen die beiden Ostländer die Unterstützung der SPD-regierten Länder. Bei der Bundestagsfraktion der Sozialdemokraten stießen die Regelungen bereits auf Ablehung. Sie werde, so deren Einschätzung, wegen der enthaltenen Ungerechtigkeiten vor dem Verfassungsgericht keinen Bestand haben. Karlsruhe wird sich wohl nochmal mit den Anliegen der Alteigentümer befassen müssen.

Mit welchem Ausgang, das steht zumindest für die Bauern in Bredentin bereits fest. Das „Denkmal der demokratischen Bodenreform“ wurde inzwischen aus dem Dorfteich gefischt und steht schon wieder auf seinem Sockel. Zur Sicherheit gegen alle weiter drohende Unbill wurde es nun einzementiert.

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