Ein Geschenk für den Großvater

■ FreitagNacht-Lesung zu Ehren George Taboris im Thalia

„Es war einmal ein armer Dichter, der hieß George...“ - kein Märchen, sondern so hat sie angefangen, die Karriere des großen alten Theatermannes George Tabori. Mehr als ein halbes Jahrhundert ist es her, da hatte der Sohn eines Budapester Journalisten beschlossen, sich vor allem mit Schreiben durchs Leben zu schlagen. Seine bitter-komische Anekdote vom „armen Dichter George“ stand denn auch am Anfang der Freitagnacht-Lesung im Thalia, mit der das Theaterhaus dem Regisseur und Autor zum heutigen 80. Geburtstag gratulierte.

Der berühmte Jubilar saß selbst im Publikum: ein zurückhaltender, zierlicher Mann, mit wachen Augen und Lachfalten im überraschend jungen Gesicht. Er ist Schriftsteller, Stückeschreiber und Drehbuchautor im Hollywood der 40er gewesen, hat für den Broadway Brecht übersetzt und Ende der 60er in Berlin mit seinem Stück Die Kannibalen Furore gemacht. Zwei Jahre später - da ist er 57 - führt er zum ersten Mal Regie: 1971 inszeniert er Pink Ville, in Berlin.

Doch nicht so sehr um die Erinnerungen ging es in der Geburtstagslesung. Tabori für Tabori in Texten: Das ist vielmehr ein Potpourri sarkastisch-aphoristischer Einfälle, politisch-bewegter Statements, zotig-erotischer Kurzgeschichten - durchmischt mit Reminiszensen an die Kunst und ihre vielen wiederkehrenden Fragen.

Da sucht immer wieder einer nach künstlerischer Wahrheit und will „den Widerspruch zwischen Sein und Spielen aufheben“ - sei es auf dem Papier, im Bett oder auf der Bühne. Da erwacht Franz (Kafka) eines Morgens „zum Mensch verwandelt“ und erlebt seine Liebe zu Milena anstatt in Briefen in sinnlich-konkretem Alltag. Da diskutieren Kritiker - „nach dem Besuch einer Vorstellung von Auschwitz“ - den ästhetischen (Un-) Wert von „KZ-Kitsch“ und „echten Tränen auf der Bühne“, während doch Brecht gesagt habe, „gute Tragöden weinen nie“. Tabori-Themen, kein Zweifel. Die Lesung brachte es damit durchaus auf Porträt-Charakter. Doch als sie vorbei ist, scheint den Beteiligten unklar, wie die Festivität zu Ende gehen soll: mit Verbeugungen oder mit einem Geburtstagsgrußwort oder mit Küssen und Umarmungen für den Jubilar?

Trotz der unbestrittenen Qualitäten der fünf Vorleser - Christoph Bantzer, Sandra Flubacher, Hans Kremer, Katharina Matz und Elisabeth Schwarz sind alle demnächst in der Tabori-Inszenierung von Enzensbergers „Delirium“ zu sehen -, wirkt die kleine Szene plötzlich wie nach dem Gedichte-Aufsagen der Enkel im Familienkreise: ein bißchen improvisiert, ein bißchen nicht-bis-zu-Ende-gedacht, ein bißchen verlegen. Aber auch das hat seinen Reiz. Schließlich hat man es mit einem „Großvater“ zu tun, der auch dafür berühmt geworden ist, daß er nie nur nach vorgefertigten Konzepten inszenieren wollte. Dorothea Schüler