: Es stirbt, wer's erwirbt
■ Paul Hindemiths Oper „Cardillac“ über einen mörderischen Goldschmied im Stadttheater Bremerhaven
Einmal in jeder Spielzeit bemüht sich das Stadttheater Bremerhaven, seinem Ruf als Operetten- und Musicalbühne zu widersprechen. Dann riskiert es einen Griff in die Moderne. Diesmal war Paul Hindemiths erstes musikalisches Großwerk dran, die Oper „Cardillac“, die er 1926 nach einer Erzählung von E.T.A. Hoffmann innerhalb kürzester Zeit komponiert hatte.
Regisseur Peter Dieter Schnitzler entwickelt das düstere Geschehen um den Goldschmied Cardillac ganz aus dem Geist der expressionistischen Bühnenbild-Entwürfe, wie man sie aus den späten zwanziger Jahren kennt. Ekkehard Kröhn hat auf der Drehbühne eine Anlage aus metallisch glänzenden Treppchen und Laufstegen gebaut. An den Seiten und im Hintergrund ragen turmartige Mauern auf, Wände mit schrägen Perspektiven, kaltfarben und grob bemalt. Auf dem tiefschwarzen Hintergrund öffnen sich Fensterbänder in leuchtenden Rot-, Blau- oder Grüntönen.
In diesem suggestiv-abstrakten Raum versammelt sich das Pariser Volk zur Zeit Ludwigs des Vierzehnten. Ein Mörder geht in der Stadt um. Er tötet diejenigen, die ein Schmuckstück des für seine Kunst gerühmten Goldschmieds gekauft haben.
Schnitzler läßt das Volk mit dunklen Flecken im Gesicht auftreten (blind? infiziert? krank? schmutzig?), er baut den vergrößerten Chor zu statischen Blöcken auf, Bewegungen gibt es kaum, die Wucht einer gefährlich erregten und leicht manipulierbaren Masse wird nicht sichtbar.
Das schönste Bild findet er für den Auftritt einer Dame der höheren Gesellschaft (Kathrin Dyneen), die auf einer zweisitzigen Schaukel über die Bühne gezogen wird, während Pagen die überlange metallicgraue Schleppe ihres Prachtgewandes tragen. Sie wünscht von dem galanten Kavalier (Apcar Minas) ein Geschmeide des gefährlichen Goldschmieds; er soll es ihr nachts ans Bett bringen. Die mögliche Kraft dieser Szene verschenkt Schnitzler aber an ein diffus-unerotisches Bewegungsspiel, bis dann endlich die vermummte Gestalt erscheint, die dem Kavalier ein Messer in den Rücken sticht.
Auch die folgenden Szenen, in denen der vermummte Mörder zu weiteren Untaten schreitet, bis der Goldschmied sich schließlich selbst als Täter entlarvt und vom Volk getötet wird, können wenig Spannung entfalten. Die Oper „Cardillac“ stellt die Regie allerdings auch vor ein fast unlösbares Problem: Hindemiths sehr neobarock stilisierte Musik aus Fugen, Kanons, Ostinati und Satzverläufen nach Art der Passacaglia baut sich geradezu wie eine Wand auf vor dem dramatischen Bühnengeschehen.
Nur ein einziges Mal verschmelzen Musik und Szene zu einer Einheit: bezeichnenderweise dann, als Cardillac (Ron Peo) und seine Tochter (Viktoria Taranova) aneinander vorbeisingen müssen, weil er sich nur für seine goldenen Werke interessiert, während sie vergeblich seine Nähe sucht.
Auch Ron Peos kräftig-geschmeidiger Bariton sowie Viktoria Taranovas strahlender, in den Höhen etwas kratzender Sopran brechen das musikalische Korsett nicht auf. Die Opernhandlung ist hier nichts als die optische Zugabe zu einem Werk für Orchester mit großem Chor und Solisten, welches der Dirigent Leo Plettner mit einem auf weite Strecken gut gestimmten, hart konturierten Klangkörper vorträgt, dem die kammermusikalisch konzertanten Partien am besten gelingen. Plettner läßt mit einer Präzision aufspielen, die an die Kälte des Goldschmieds erinnert. Aber muß Hindemiths Musik zum Frösteln sein? Hans Happel
nächste Aufführungen heute und übermorgen um je 20 Uhr im Stadttheater BHV, Großes Haus
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