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Der lange Schatten von Wolfgang Antes

■ Selbst in Gründerzeiten blieb in Charlottenburg das Gelände zwischen Leibniz- und Wielandstraße unbebaut - jetzt wird es entgegen der Anwohnerinteressen massiv zugebaut

Von Rolf Lautenschläger

Auf dem Balkon, hoch über dem Parkplatz Wielandstraße/ Leibnizstraße, steigt der älteren Dame noch einmal die Zornesröte ins Gesicht. „Wir kriegen hier keine Luft mehr. Das Quartier ist extrem dicht bebaut. Hinterhof reiht sich an Hinterhof. Die geplante Parkplatzbebauung mit Wohnungen, Hotels, Büros und Geschäften würde den bestehenden Wohnungen am Platz das wenige Sonnenlicht nehmen.“ An der Brandmauer gegenüber ist zu sehen, wie groß das Bedürfnis der Mieter nach Helligkeit sein muß. In unregelmäßigen Abständen sind Öffnungen in die Wand geschlagen. Der illegale Durchbruch bildet für viele Wohnungen ein wichtiges Luftloch zu den nach innen gewandten Wohnschläuchen.

Aber nicht nur wegen der möglichen Verschattung lehnen die Mitglieder der Bürgerinitiative Wielandstraße/Leibnizstraße die beiden geplanten 108 Meter langen, 32 Meter breiten und bis zu zehn Stockwerke hohen U-förmigen Steinkästen des Architekten Hans Kollhoff ab. Das dichtbebaute Gebiet in Charlottenburg, so zeigen zwei Gutachten, würde durch eine extreme Verdichtung zusätzlichen klimatischen Schaden nehmen. Außerdem führte die Nutzung der Hoteltürme zu einer gesteigerten Lärmbelästigung des schon überdurchschnittlich lauten Stadtteils nahe des Ku'damms.

Seit nunmehr 18 Jahren kämpfen Bürgerinitiativen gegen die Bebauung des Filetstücks und fordern, den Parkplatz in eine Grünanlage umzugestalten. „Wir rüsten zum letzten Gefecht“, erklärt die ältere Dame und droht mit Klage. Denn vor wenigen Tagen räumten der Senat, der Bezirk, die Investoren und der Architekt die „vorletzten Hemmnisse“ für das Bauvorhaben aus dem Weg, so Charlottenburgs Baustadtrat Claus Dyckhoff (SPD). Es muß jetzt noch entschieden werden, sagt Dyckhoff, wo die Kita plaziert werden soll und wie viele der 400 vorgesehenen Tiefgaragenplätze gebaut werden können

Es ist nicht das erste Mal, daß an dem Entwurf von 1989 geknetet wird: Waren ursprünglich in den 30.000 Quadratmeter Bruttogeschoßfläche (BGF) fassenden Blöcken neben den Hotels und Büros 200 öffentlich geförderte Wohnungen geplant, soll jetzt noch knapp die Hälfte der Wohnräume realisiert werden. Als nach dem Fall der Mauer das landeseigene Grundstück plötzlich 60 Millionen Mark wert war, drängten die Investoren, die WIR (Berlin) und die Hamburger Hanseatic (Nachfolgerinnen der Neuen Heimat) darauf, den Wohnungsanteil zu senken. Ihr Argument: Mit sozialem Wohnungsbau lassen sich solche Bodenpreise nicht finanzieren. Die Koalition aus Bau- und Finanzsenat, Baudirektor und Bezirk gab nach, versprach man sich doch einen fetten Batzen Geld. Die Fachzeitschrift Bauwelt schalt den Senat dafür einen „öffentlichen Bodenspekulaten“. Nun werden 109 Wohnungen im zweiten Förderweg entstehen, die Bauten können jeweils einen Meter breiter und ein Geschoß höher werden. Der Spielplatz ist gestrichen; es entsteht ein gepflasterter Stadtplatz. Zusätzlich werden den Investoren keine Stellplatzabgaben abverlangt.

Die Anwohner protestieren gegen die „Verschandelung der Freifläche“ auch darum, fühlen sie sich doch durch ein Planungsverwirrspiel betrogen. Innerhalb der dichten Bebauung zwischen Leibniz- und Wielandstraße, erinnert der Anwohner Manfred Weiß, stellt das Areal eine Ausnahme dar: Selbst in Zeiten den Baubooms um die Jahrhundertwende blieb es immer als öffentliche Freifläche ausgewiesen, auf der Fußballfelder, Kinderspielplätze, Tennisanlagen oder eine Eislaufbahn angelegt wurden. Erst in den sechziger Jahren legte der Senat dort einen Parkplatz an. Um die Fläche wieder für die Anwohner zurückzugewinnen, wurde 1984 ein Wettbewerb ausgelobt, den Hans Kollhoff mit einem „Wintergarten“ – eine Freifläche unter einem Glasdach – für sich entscheiden konnte. Es gehörte zu den Intrigen des Baustadtrates Antes (CDU), daß diese Planung in der Schublade verschwand und fortan eine rentablere Bebauung angestrebt wurde. Zwar stolperte Antes 1986 über den Platz, „er hinterläßt aber bis heute die Vorstellung, daß mit Freiflächen nichts zu verdienen ist“, so Weiß. Die neue Kollhoff-Planung sei dafür der Beweis.

Baustadtrat Claus Dyckhoff, von dem sich die Anwohner „verraten und verkauft“ fühlen, räumt „Rückschritte“ bei der Planung ein: Der Verlust an preiswertem Wohnraum sei „zu bedauern“. Immerhin wurden die grünen Innenhöfe und die Kita gerettet. Mit Kollhoff müsse über die Gestaltung des Stadtplatzes verhandelt werden. Das jahrelange Verfahren „soll über die Bühne“ gebracht werden, meint Dyckhoff müde. Ein Kompromiß der Initiativen, „einen Park mit einer sozialen Wohnbebauung“ zu verbinden, kommt für ihn nicht mehr in Frage. Auf dem Balkon, hoch über dem Platz will man das nicht glauben.

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