Russische Liebesgrüße lassen Nato sprachlos

In Brüssel werden die Nato-Verteidigungsminister heute mit ihrem russischen Kollegen Gratschow über Moskaus Sonderwünsche reden – und zu keinem klaren Ergebnis kommen  ■ Von Andreas Zumach

Berlin (taz) – „Rußland soll kein Vetorecht gegen Entscheidungen der Nato erhalten.“ Diese seit Monaten gebräuchliche Formel westlicher Militärs und Politiker wird aber nicht ausreichen, wenn die sechzehn Verteidigungsminister der Allianz heute in Brüssel mit ihrem russischen Amtskollegen Pawel Gratschow diskutieren.

Schon beim Besuch vorletzte Woche in Bonn machten der Vier- Sterne-General und Präsident Boris Jelzin Moskaus Forderungen unmißverständlich deutlich: Priorität habe für Rußland der beschleunigte Ausbau der „Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa“ (KSZE) zu einer handlungsfähigen gesamteuropäischen Sicherheitsinstitution sowie die stärkere Gewichtung der KSZE in Relation zur Nato. In einem solchen Rahmen wäre Rußland mit gleichen Rechten und Pflichten wie die westlichen Staaten an Entscheidungen über sicherheitspolitische Fragen und an deren Umsetzung beteiligt. Solange die westlichen Staaten jedoch statt auf die KSZE weiterhin auf die westlichen Institutionen Nato oder WEU setzen, besteht Moskau auf einer herausgehobenen Behandlung im Vergleich zu den anderen osteuropäischen Staaten.

Die Forderungen sind keineswegs neu und werden von russischen Regierungspolitikern und Militärs bereits seit dem Zerfall der Sowjetunion vorgebracht. Der wachsende Einfluß nationalistischer und großrussischer Parteien hat den Druck hinter diesen Forderungen allerdings erheblich verstärkt.

Mit einem unverbindlichen Protokoll ohne Unterschriften oder einer Absichtserklärung zu verstärktem Dialog mit Rußland über das Programm „Partnerschaft für den Frieden“ hinaus wird sich Gratschow heute nicht abspeisen lassen. Doch zu mehr sahen sich die Nato-Staaten am letzten Mittwoch auf ihrer Vorbereitungssitzung für die heutige Diskussion mit Gratschow nicht in der Lage – zumindest nicht im Konsens.

Ein Bericht der New York Times, demzufolge sich die Nato- Botschafter auf die „Gewährung privilegierter Beziehungen zu Rußland“ geeinigt hätten, wurde inzwischen vom US-Verteidigungsministerium dementiert. In Brüssel erklärte ein US-Diplomat, „ein besonderes strategisches Verhältnis zu Rußland über den Dialog hinaus“ sei „nicht im Angebot.“

So werden die Nato-Minister auf ihrer Sitzung wohl keine endgültige Antwort auf die russischen Vorstellungen von einer Sonderrolle geben. Zunächst einmal wird Gratschow seinen Amtskollegen die bislang geheimen Teile der neuen russischen Militärdoktrin erläutern. Die Nato dürfte dann diese Informationen erst einmal prüfen wollen.

Doch möglicherweise ist nicht mehr viel Zeit für Prüfungen und Diskussionen. Der sich zuspitzende Konfikt um die Krim könnte schon sehr bald Entscheidungen zur Entsendung von „Friedenstruppen“ erfordern. Es ist offensichtlich, daß – mehr noch als in anderen Konflikten auf dem Territorium der Ex-Sowjetunion – russische Streitkräfte für diese Aufgabe am allerwenigsten geeignet wären, besonders russische Soldaten ohne Einbindung in eine mit UNO- Mandat versehene internationale Blauhelmtruppe. UNO-Generalsekretär Butros Ghali fordert für die Befriedung von Konflikten im „nahen Ausland“ Rußlands die Aufstellung von UNO-Verbänden mit einem maximal 30prozentigen Anteil russischer Soldaten. Doch die Chancen für die Aufstellung einer solchen internationalen Truppe sind gering, solange das Verhältnis zwischen Nato und Rußland nicht geklärt ist.