Sanssouci
: Vorschlag

■ Film über die rumänische Revolution von Farocki und Ujica im BE

„Ein Sieg der Magie über die Politik“ sei der rumänische Umsturz gewesen, so Vilém Flusser, weil die Fernsehbilder eine entscheidende Eigenwirkung auf das Geschehen ausgeübt hätten. Und Le Monde bezeichnete die Darstellung des Aufstandes gegen das Ceaușescu-Regime in den westlichen Medien als „die bedeutendste Fälschung seit der Erfindung des Fernsehens“. Man erinnere sich an die Fernsehberichte aus den Ostblockländern im Jahr 1989: Sie kulminierten in dem ausgestellten Bild des exekutierten Diktators und seiner Frau. Ihre Leichname wurden den Massen gezeigt als Beglaubigung der Irreversibilität des Geschehens. In kürzester Zeit hatte sich der Umsturz in Rumänien vollzogen, in der Hauptstadt waren während der letzten Kundgebung Ceaușescus nur die offiziellen Kameras des staatlichen Fernsehens im Einsatz und auf den „geliebten Conducator“ gerichtet. Die anderen Kameras durften ihren „Gegenschuß“ auf die Massenversammlung auf dem Platz vor dem Zentralkomitee nicht übertragen, die Kameraleute waren angewiesen, ihr Objektiv bei „unvorsehbaren Zwischenfällen“ gen Himmel zu richten. Nur eine Kamera wagte die Aufzeichnung, tags darauf waren es schon Hunderte Kameraleute und Amateure, die das Geschehen zwischen dem 21. und dem 26. Dezember 1989 dokumentierten – ein Material, das, aneinandergeschnitten, eine komplette Chronologie ergibt.

„Videogramme einer Revolution“ heißt diese Chronologie, und Harun Farocki und Andrei Ujica haben sie dramaturgisch überzeugend erstellt. Dieser Film, der heute abend im Berliner Ensemble gezeigt wird, ist kein TV-Bericht, der bereits Gesehenes bestätigt, sondern ein Drama mit Haupt- und Nebenakteuren, mit wenigen signifikanten Szeneschauplätzen, Rednern und dem Chor des Volkes. Hier wird elektromagnetisch eine Revolution rekapituliert und gleichzeitig ein Schauspiel geboten, das dramatisch, opernhaft und grotesk ist. Farocki und Ujica haben diesen historischen Aufstand in 107 Film-Minuten erzählbar gemacht, auf der Grundlage von 125 Stunden fremden Materials. Jörg Becker

Heute, 20 Uhr, Berliner Ensemble, Bertolt-Brecht-Platz 1, Mitte, im Anschluß Diskussion.

Nachschlag„MinaMina“ – Carringtons Stück in Neukölln veropert

Es klingt wie in der richtigen Oper: Instrumente werden gestimmt, die einzelnen Töne sind noch bar jeder Verbindung, im Saal der Neuköllner Oper wird gehüstelt und gemurmelt. Dann hebt sich der Taktstock, und die apokalyptische Oper „MinaMina“, Winfried Radekes Vertonung von Leonora Carringtons Theaterstück „Opus Sinistrum“, nimmt ihren Lauf. Die Ouverture hält die — Ende der sechziger Jahre im historischen Umfeld der Mondlandung und des Raumfahrt-Wettrennens entstandene — Geschichte nicht lange auf. Ein Mann und eine Frau erlösen die Instrumente von ihrer tragenden Rolle und liefern sich ein Haß-Duett. Der Geschlechterkampf steht am Anfang allen Untergangs. Die Kluft, die sich da auftut, zwischen einem geblümten Morgenmantel und einer Strickjacke, führt zum eigentlichen Plot: zum frauenlosen Ende mit Schrecken, das sich die Herren dieser Welt selbst gebastelt haben.

Die Folgen von blindem Fortschrittswahn und Wissenschaftseifer lassen nicht lange auf sich warten. Bereits in der zweiten Szene versuchen zwei Krankenschwestern, begleitet von elegischen Orchesterklängen, ihren sterbenden Schwestern so lange letzte Hilfe zu leisten, bis es sie selbst dahinrafft. Zurück bleibt das gesammelte starke Geschlecht, das durch bakteriologische Experimente alle Frauen und Tiere ausgelöscht hat und sich jetzt erst einmal freut, daß da keine sorgenden Mütter und zeternden Ehefrauen mehr sind. Arzt (Klaus Brantzen) und Forscher (Mike Keller) wagen zu Polkatakten ein Tänzchen und preisen die hohe wissenschaftliche Anforderung, die dieses Virus mit sich bringt. Doch bald kommt die Einsicht, daß weder Frauenkörper noch Tierfleisch ja jetzt noch die Zukunft sichern — die letzte Hoffnung ist ein weibliches Straußenei.

Das Bühnenbild, eine von UV-Licht verstärkte, irreale Szenerie aus Wänden und Schaufenstern, aus denen jedes Leben gewichen zu sein scheint und das Regisseur Werner Gerber selbst entworfen hat, entspricht bei „MinaMina“ am ehesten den phantastisch-absurden Stimmungen, die Carringtons Texte vorgeben. Die Hauptfigur der MinaMina, jene abgetakelte, Zigarre rauchende Ex-Puffmutter, die einzige weibliche Überlebende, moralische Mahnerin und Faktotum des Stücks, bleibt in der Interpretation von Dorothee Kimmich zu blaß, beherrscht und tantenhaft. Die Schwierigkeit, Carringtons groteske Figuren und Handlungen in eine machbare Rahmenhandlung zu pressen, offenbart sich aber auch an zahlreichen anderen Stellen. Der Versuch, mythologische Wesen, die Sinnbilder der Apokalypse, Löwe, Stier, Adler und Engel, in ihrer Umgebung zu zeigen, gerät bei Gerber zu einer Mischung aus B-Science-fiction und Psychogruppensitzung. Die surrealistisch gemeinten Figuren wirken wie Marsmenschen im Freizeitpark, die sich ihre Langeweile mit Musizieren und Balzen vertreiben.

Warum mußte aus dieser immer noch brandaktuellen Geschichte ausgerechnet eine Oper werden, die zwar einige wenige musikalische Höhepunkte hat, aber weder provozierend noch absurd genug daherkommt und dem Großteil der äußerst radikalen Texte so keine Chance gibt, wirklich verstanden zu werden? Das Finale ist dann schier unerträglich, das Ende der Vision vom Zukunftsglauben der Männerbünde findet einfach kein Ende: MinaMina singt und singt und singt, und das Publikum beginnt, die im Laufe der Handlung von der Bühne geräumten Kadaver zu beneiden. Anna-Bianca Krause

Nächste Aufführungen 27.–29.5., im Juni Fr.–So., 20 Uhr, Neuköllner Oper, Karl-Marx-Straße 131–133.