Lila Kugel, gelbe Kegel

Der Rumäne Stelian Boariu war der erfolgreichste und weitaus eleganteste Kegler bei den XX. Weltmeisterschaften in Ludwigshafen  ■ Von Günter Rohrbacher-List

Der mittelhochdeutsche Dichter Hugo von Trimberg verurteilte das Kegeln als „weitverbreitete Unsitte“, Karl V. von Frankreich und Kaiser Leopold verboten das teuflische Spiel, das so manchen Bauern jener Epoche um Haus und Hof brachte, und drohten Uneinsichtigen gar mit der Todesstrafe. Heute trifft man sich alle zwei Jahre zu Weltmeisterschaften, Ausdruck späten kollektiven Trotzes gegen die kegelverachtenden Despoten.

Größte Sorge der gnadenlosen Dauer-Abräumer ist ihr katastrophaler Ruf. Kegelbahn ist hierzulande immer noch Synonym für „Alle Neune“, Gegröhle, Lokalrunden, Zigarettenqualm und reichlich Humbtata. Eine Arbeitsplatzbeschreibung abseits der Domäne der Sportkeglerinnen und -kegler, aber nah an der Wirklichkeit des Kegelns nach Feierabend, bei Betriebsausflügen, Klassenfesten, etc.

Von solcher Stereotypisierung ist der Rumäne Stelian Boariu weit entfernt. Ganz und gar nicht dem Bild des volkstümlichen Keglers mit Bierbauch und roter Birne, dicken Oberschenkeln und verrauchter Stimme entsprechend, besticht der für den SKC Viktoria Bamberg startende Ästhet durch seine stoische Ruhe, die so gar nicht zur Lautstärke in der Halle passen mag. Als es bei der Einzelentscheidung ganz eng wird zwischen ihm und dem Deutschen Friedhelm Zänger, demonstriert Boariu in weißer Hose und Türkishemd Eleganz, während der Plankstadter nach jedem Wurf Emotionen zeigt und schließlich durch dumpfe „Deutschland Deutschland“-Rufe zum Sieg gepusht wird. Immer ruhig, auch als beim 36. Wurf in Runde drei ein Kegelchaos entsteht und dieses manuell entwirrt werden muß, greift Boariu mit links in den Rücklauf, stemmt die lila Kugel über seinen Kopf und wirft höchst konzentriert. Ein Kegelkünstler trifft auf sieben Kegelarbeiter – Michel Platini auf der Kegelbahn!

„Zänger ist ein anderer Mensch, er hat ein anderes Nervensystem als ich“, wiegelt der Mann aus der Wallachei nach der knappen Niederlage die Frage ab, ob er sich durch den Lärm der deutschen Zuschauer bei seinem letzten Wurf gestört gefühlt habe. „Nein, ich konnte mich konzentrieren. Mir gefällt die Stimmung in der Halle sehr gut.“

Stelian Boariu, der schon 1986 WM-Gold in München gewonnen hatte, überstrahlte die Ludwigshafener Titelkämpfe und war der erfolgreichste Teilnehmer. Dritter mit der Mannschaft hinter Slowenien und Deutschland, zusammen mit Vasea Donos Sieger im Paar- Wettbewerb, gelang Boariu nach dem zweiten Platz hinter Zänger bei der Kombination der große Wurf. Neuer Weltrekord und Gold vor dem mehrfachen Champion Belá Csanyi aus Ungarn.

Überhaupt dominierten, abgesehen von den Deutschen, die Keglerinnen und Kegler aus Osteuropa, die sich bei den Kämpfen lautstarke Duelle in der Anfeuerung lieferten. Friedliche Koexistenz auf der Kunststoffbahn – fahnenschwingende Slowenen und klatschende Kroaten, begeisterte Rumäninnen und ausgeflippte Slowakinnen taten sich nichts, während in der Lobby ein ausgebooteter Ex-Weltmeister sein Schicksal beklagte. Zdenko Pavlic, für den KV Mutterstadt startender Serbe, fiel den Sanktionen gegen Rest-Jugoslawien zum Opfer und durfte seinen Titel nicht verteidigen.

Die Nachwehen der politischen Veränderungen in Europa wurden auch an anderer Stelle deutlich. Während die etablierten Medaillenhamster Deutschland und Rumänien über komfortable Unterkünfte verfügten, logierten die Slowakinnen und andere Arme aus den neuen Ländern in einer „Gymnastikhalle mit vielen Betten und einem Bad“. Natürlich habe man dort wenig Ruhe, gab Anna Martiskova zu, wollte sich aber nicht beklagen. „Es geht, wir sind zufrieden“, freute sie sich über den Aufstieg ihrer Frauschaft in die Gruppe A bei der nächsten WM 1996 in Prag. Das Sportkegeln wird auch dort bei Pilsner Urquell und Prager Schinken seine Parteigänger begeistern, die aber endlich Abschied nehmen sollten von traditionsreichen, aber antiquierten Bezeichnungen wie dem abgedankten „Holz“. Längst sind die Kegel aus Kunststoff, leuchten gelb, verächtlich beim kapitalen Fehlwurf zurück und werden wie die poppig bunten Kugeln von umweltverpestenden Chemiefirmen auf die Bahn gebracht.