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CannescannesFranzösische Vetternwirtschaft

■ Selbe Prozedur wie jedes Jahr: Die Goldene Palme für einen Streberfilm – Marcel Ophüls, der eine Sarajevo-Dokumentation gemacht hat, reist empört ab

Zum viertenmal innerhalb von fünf Jahren funktionierte der Wettbewerb nach dem gleichen Prinzip. Anfangs präsentiert sich Cannes als Forum des Autorenkinos, und kurz vor Schluß wird dann als „das Ereignis“ der Film eines neuen Wilden aus den USA lanciert.

Und jedesmal pariert die Jury und gibt genau diesem Film die Goldene Palme. So war das bei „Sex, Lies and Videotapes“, bei Lynchs „Wild at Heart“, bei „Barton Fink“ von den Coen- Brüdern, und so ist es jetzt bei Quentin Tarantinos „Pulp Fiction“, dem allerdings bei weitem unoriginellsten dieser vier Filme.

„Pulp Fiction“ schafft es, schon fünf Jahre nach den Originalen unbemerkt als Plagiat durchzugehen. Ohne die Filme David Lynchs und Jim Jarmuschs wäre „Pulp Fiction“ undenkbar. Traurig, die Jury unter Clint Eastwood so opportunistisch entscheiden zu sehen. Sie mag im Gefühl handeln, ein Enfant terrible auszuzeichnen, in Wirklichkeit ehrt sie ein Strebertum, das sich den Weg nach oben mit Spaß an der Gewalt bahnt. Daß Atom Egoyans „Exotica“, der kühnere und sinnlichere Versuch über heutige Gewaltverhältnisse, im Palmarès nicht auftaucht, versteht sich da von selbst.

Kurz vor der Preisverleihung liefen vor schütterem Publikum die beiden ersten Teile von Marcel Ophüls' „La veillée d'armes“ über den Journalismus in Kriegszeiten. Noch ist der Film nicht fertig. Der zweite Teil wurde nur auf Video gezeigt, ob ein dritter Teil entstehen kann, hängt davon ab, ob Ophüls weitere Mittel bekommt. Schon jetzt deutet sich an, daß „La veillée d'armes“ als einer der wichtigsten Filme über Sarajevo übrigbleiben wird. Der Film zeigt die Situation der Stadt nicht direkt, sondern stellt die Frage, wie sie uns in die Wohnzimmer gespiegelt wird. Ophüls begleitet Fersehteams der BBC und den New York Times-Korrespondenten John Burns bei ihren Einsätzen, zeigt, wann sie Schutzwesten tragen und wann nicht, interviewt sie über ihr Selbstverständnis, geht zurück auf die Geschichte des Kriegsjournalismus vom Spanischen Bürgerkrieg bis zum Golfkrieg. Seine tiefe Bewunderung über den Ernst und die Lauterkeit der Journalisten in Sarajevo kann er nicht verbergen.

Darum ist der zweite Teil so polemisch. Er handelt von der Verarbeitung der Korrespondentenberichte im französischen Fernsehen. „Frankreich“, sagt Ophüls, „ist die einzige europäische Demokratie, in der die Fernsehinterviews mit dem Präsidenten von Ministergattinnen geführt werden.“ Ophüls stellt ein paar simple Fragen: Wieviel verdient ein Anchorman und wieviel eine Reporterin in Sarajevo? Wieviel kostet eine Gameshow und wieviel ein gepanzertes Auto für die Korrespondentin, das sich die gleiche Anstalt angeblich nicht leisten kann? Und vor allem: Wie manipulieren die berühmten Anchormen und -women ihre Gesprächspartner so, daß am Ende die Regierungsansicht herauskommt? Wer die französische Öffentlichkeit kennt, weiß, wie tief sich Ophüls in die Nesseln setzt.

Hier liegt der Grund, warum Ophüls seinen Film schon im unfertigen Zustand vorführte. Er fürchtet, daß einige seiner Interviewpartner ihre Äußerungen zurückziehen und braucht Unterstützung durch die Medien. Fraglich, ob er sie bekommt. In Cannes ließ Ophüls ein erbittertes Kommuniquée verlesen. Darin beschwert er sich, daß Le film francais – die Branchenzeitung, die hier das Tagesprogramm veröffentlicht – auf seinen Film nur mit einer winzigen Notiz hinwies. Er sei so genervt von der französischen Vetternwirtschaft, sagt Ophüls, daß er sich entschlossen habe, Frankreich für immer zu verlassen. Aus Cannes Thierry Chervel

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