Angstbegehren im Ballsaal

Sanfte Höhepunkte: Die Deutsche Psychoanalytische Vereinigung öffnet sich bei ihrer Hamburger Tagung über „Wege und Irrwege zur Psychoanalyse“ zaghaft den feministischen Theoretikerinnen  ■ Von Viola Roggenkamp

Im kleinen Ballsaal des Hamburger Plaza-Hotels steht ein Mann im Schein kristallener Leuchten und spricht über seinen Orgasmus. Bis eben saß er noch auf seinem Stuhl als einer von etwa 200 Frauen und Männern. Nun hat er sich vor die Gruppe gestellt.

Hier, wo gemeinhin gutbürgerliche Familien ihre Sehnsucht nach Prunk und Pracht zwischen Furnier und großen Spiegeln, bei Eisbombe und Foxtrott befriedigen, tagen in diesem Moment rund 500 Mitglieder der Deutschen Psychoanalytischen Vereinigung. Die anderen 300 haben sich über andere Ballsäle verteilt, in denen andere Themen diskutiert werden.

Zum erstenmal in der 44jährigen Geschichte der Organisation auch über „Körperarbeit“ mit PatientInnen. Ein Tabu in der Psychoanalyse. Die PatientInnen auf keinen Fall berühren! Gisela Worm, die seit 20 Jahren als Psychoanalytikerin die Position der Außenseiterin hält und für ihre PatientInnen auch körperlich anwesend sein kann, erkennt in der Skepsis und dem Widerstand ihrer KollegInnen ein altes Muster: „Der Körper wird genauso gefährlich und schmutzig phantasiert wie die Frau.“ Das Tabu offenbart das Angstbegehren.

Quietschen und Kichern

Noch ein anderes Tabu wird in dem Ballsaal verhandelt, in dem der Mann über seinen Orgasmus spricht: Feminismus und Psychoanalyse. Jessica Benjamin aus New York und Marina Gambaroff aus Frankfurt referieren. Es geht um weibliche Potenz. „Also“, sagt der Mann und läßt sich von vereinzeltem Quietschen und Kichern weiblicher Stimmen nicht verschrecken, „was ich beim Orgasmus empfinde, ist das Auflösende im Ich und Du. Und das ist für mich das Schönste.“

Er sagt das sehr souverän und sanft. Er ist Analytiker und spricht vor KollegInnen. Nur, daß es hier gerade nicht um seine Lust geht, sondern um seine Angst. Um die Angst des Mannes vor der Frau. Das ist kein Tabu in der Psychoanalyse. Tabuisiert wird der feministische Blick darauf und auf psychoanalytisches Wissen überhaupt. Warum?

Psychoanalytisch gedacht wohl darum: im feministischen Blick auf Mann und Frau wird etwas sichtbar, das bedrohlich scheint und darum in der psychoanalytischen Familie unter der Decke gehalten werden muß; das ist das heimliche Wissen um die drohende Umkehrung der herrschenden Verhältnisse.

Feministische Analytikerinnen wie Jessica Benjamin sagen, daß Mädchen und Jungen ihr Leben in dem Gefühl beginnen, alles zu sein, ohne daß sie überhaupt ein Bewußtsein von weiblich und männlich besitzen. Der Schmerz über den Verlust (Kastration) ist die Vorraussetzung der Erkenntnis, nicht alles zu haben, sondern das, was das Eigene ist. Der Blick auf das verlorene andere wird zum Blick auf das Fremde.

Gibt es in einem solchen Verlustschmerz keinen Halt, muß das Gefühl verändert oder ausgelöscht werden. Die Enttäuschung des Jungen darüber, nicht gebären und nicht stillen zu können, wird zu Neid, der verwandelt wird in: ich bin besser als die andere, meins ist besser als das Fremde. Das gleiche gilt für das Mädchen mit dem Blick auf den Penis.

Dieses feministisch-analytische Denken, das sich auf das Geschlechterdifferenzierungsmodell der amerikanischen Psychoanalytikerin Irene Fast stützt, gibt also auch Auskunft über Ursachen von Rassismus, Antisemitismus und Sexismus – bei Männern wie bei Frauen. Und eben auch bei PsychoanalytikerInnen.

Ihr Beruf ist es, das Unbewußte zu kontrollieren, zu überwachen und zu deuten. Dennoch fällt es ihnen schwer, feministische Erkenntnisse aufzunehmen und den Penis als alleinigen Mittelpunkt männlichen wie weiblichen Begehrens gegen ihre eigenen Widerstände aufzugeben. Die Furcht, die vertraute Ordnung zu verlieren, und sei sie noch so einengend, kennt jeder Mensch.

Die Deutsche Psychoanalytische Vereinigung öffnet sich jetzt zaghaft der Öffentlichkeit. Dabei haben PsychoanalytikerInnen und JournalistInnen ja etwas gemeinsam: Sie können zu allem etwas sagen und handeln sich damit Beachtung wie Ärger ein. Der Umgang miteinander ist hoch mißtrauisch. Die Presse fragt: Was geschieht eigentlich hinter der Tür auf der Couch? Sollen die Krankenkassen dafür bezahlen? Ist es nicht ausreichend und auch kostengünstiger, wenn der Mensch Tabletten nimmt, um seelisch fit zu sein? Und der Psychoanalytiker, der von einem Fernsehteam für einen Filmbericht interviewt wurde, erkannte auf der Tagung resigniert: „Die tun ihr Drehbuch nicht kund. Daß wir allenfalls nur Akteure sind, darauf muß man sich einstellen. Das fällt Analytikern nicht leicht. Risikobereitschaft ist Voraussetzung.“

Drohender Familienkrach

Die PatientInnen, die sich bei ihnen auf die Couch legen, werden aufgefordert, frei zu assoziieren, zu sagen, was ihnen gerade durch den Sinn geht, und sei es auch noch so ..., nein, gerade dann, wenn es besonders beschämend, womöglich unanständig und überhaupt ist. Ist es ausgesprochen und hat sich das richtige Gefühl dazu eingestellt, empfinden die PatientInnen Befreiung von bis dahin unbewußten seelischen Verkettungen.

Wie groß ist die Risikobereitschaft in der Psychoanalytischen Vereinigung gegenüber feministischer Forschung und feministischem Wissen? Daß darüber ein Familienkrach droht, ist fast zu riechen.

Bislang lag das immer alles an Sigmund Freud. Jetzt sind seine Söhne und Töchter dran. Die Tagung der Deutschen Psychoanalytischen Vereingung wurde mit einem Vortrag von Patrick J. Mahony über Freud eröffnet. Es lag nicht an ihm, daß sich die meisten langweilten. Der Akzent war falsch gesetzt: Die feministische Analytikerin Jessica Benjamin aus New York wäre die richtige gewesen. Denn die Potenz der Psychoanalyse ist jetzt bei den feministischen Unruhestifterinnen.