■ Kohl im Aufwind, die SPD als schlechter Verlierer: Verbittert in die nächste Niederlage
Machtwechsel – kein Stück. Keine Heinemann-Reminiszenzen. Nach der Wahl Roman Herzogs zum Bundespräsidenten stehen die politischen Zeichen wieder auf Kontinuität. Die Kanzlerdämmerung jedenfalls, die Anfang des Jahres schon unwiderruflich wirkte, scheint nach der Berliner Kür neuerlich vertagt. Schöne Aussichten. Es hat schon etwas Beängstigendes, mit welcher Routine Helmut Kohl die Wahl des Neuen zu seinem Sieg macht, wie er die Union und gleich noch den Koalitionspartner im Griff behält, wie er das Desaster um die Heitmann-Kandidatur locker weggesteckt hat, ungefähr so wie die Negativ-Prognosen der letzten Monate. Sicherer jedenfalls als mit dem Erfolg des Kandidaten seiner Wahl konnte Kohl die noch schwachen Anzeichen einer politischen Trendwende kaum pointieren. Wieder gerät das jüngste Stimmungstief der Union nur zum Hintergrund, vor dem sich das darauffolgende Kanzler-Hoch um so selbstverständlicher abhebt.
Daß der Hoch-Tief-Automatismus neuerlich funktioniert, hat Helmut Kohl diesmal – neben der schier endlosen Disziplin der Union – vor allem den Liberalen zu verdanken. Jeglicher salbungsvoller Floskeln entkleidet, hat Kinkel die Unterstützung der FDP für Kohl – via Herzog – als puren Akt des Machterhaltes präsentiert. Eine sicher schöne Gelegenheit, jetzt neuerlich den „Opportunismus der Liberalen“ zu brandmarken. Doch aus Kinkels Perspektive war schwerlich eine andere Entscheidung denkbar. Hätte er die gerade gegebene Koalitionsaussage zugunsten der Union durch ein Votum für den SPD-Kandidaten kontrastiert, wäre ihm eben „notorische Unzuverlässigkeit“ vorgehalten worden. Mit der darf, wenn es im Herbst nicht anders ginge, natürlich weiter gerechnet werden. Sozial-liberal bleibt für Kinkel eine selbstverständliche Option. Im Reichstag hat er lediglich seine Priorität verdeutlicht und sich zugleich ein Stück weiter vom Image des überforderten Vormannes befreit.
Das könnte bald schon auf Rudolf Scharping übergehen. Der hatte immerhin genügend Zeit, um seine Partei auf die Niederlage ihres Präsidentschaftsanwärters vorzubereiten – ungefähr so viel wie Roman Herzog für die Vorbereitung seiner kurzen Wahlansprache. Die fiel zwar eher ungelenk aus. Doch wie eigentlich soll man die Reaktionen einer SPD bewerten, der Herzogs Rede gerade recht zu kommen schien, um ihrer Enttäuschung freien Lauf zu lassen? Die Energie, die die SPD in den vergangenen Monaten darauf verwenden mußte, die Chancen ihres Kandidaten schönzureden, verwandelte sich nach dem letzten Wahlgang in intensive Wut: auf den Kanzler, seinen Kandidaten, die Zusammensetzung der Bundesversammlung und die mangelnde Generosität bornierter Parteigänger, die uns den besten aller möglichen Präsidenten vorenthielten. Die Bürger fühlen sich düpiert – sagt Scharping und droht mit der Rache der Wähler.
Doch wen wird sie treffen? Mit der verqueren Form der Niederlagenbewältigung macht die SPD den Koalitionserfolg erst richtig rund. Während Kohl seinen Sieg auskostet, läßt sich die SPD vollends in die Krise fallen. Deutlicher als mit dem Ausbruch geballter Frustration im Berliner Reichstag hätte die SPD ihre mühsam kaschierte Verunsicherung der letzten Wochen kaum demonstrieren können. Der dick aufgetragene Optimismus des Scharping-Auftakts gerät jetzt zur Verbitterung schlechter Verlierer. Die hilft wenig. Allenfalls lassen sich so künftige Niederlagen programmieren. Matthias Geis
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