Sanssouci: Nachschlag
■ „Wilms 2000“ – neuer Intendant des Maxim Gorki Theaters
„Toi, toi, toi“, sagte der Noch-Intendant und drückte dem Auch-schon-Intendanten die Hand. Und Kultursenator Roloff- Momin saß in der Mitte und sagte „glücklicherweise und Gott sei Dank“ und daß die Zukunft des Maxim Gorki Theaters jetzt gesichert sei „bis ins Jahr 2000 und darüber hinaus“.
Noch vor der Verabschiedung von Albert Hetterle am 18.Juni hat Bernd Wilms gestern einen Sechs-Jahres-Vertrag als Intendant des Maxim Gorki Theaters unterschrieben. Die Erleichterung des Kultursenators ist berechtigt. Er hat so lange gezögert, sich um einen Nachfolger von Hetterle zu kümmern, daß Chefdramaturg Klaus Pierwoß, der Bereitschaft signalisiert hatte, sicherheitshalber die Intendanz in Bremen übernommen hat. Nur Frank-Patrick Steckel war sonst noch im Gespräch und bald auch schon wieder draußen. Nun also Wilms. Der ehemalige Leiter der Münchener Otto-Falckenberg-Schule hat seit 1991 mit einer jungen Mannschaft, einem zeitgenössischen Spielplan und Regisseuren wie K. D. Schmidt und Beat Fäh in Ulm, um Ulm und durchaus weitkreisig um Ulm herum viel Aufmerksamkeit erregt. Eine für ihn nicht weiter tragbare Rotstiftpolitik hat ihn nun kurzfristig ausgerechnet nach Berlin getrieben.
Um das Vorplanungsdefizit zu bemänteln, fungiert er am Maxim Gorki Theater für seine erste Spielzeit als Geschäftsführer. Das heißt: er tritt das Erbe an, ohne es gleich antreten zu dürfen. Wesentliche – und dringend notwendige – Veränderungen sind erst ab 1995 zu erwarten. Einziges Mitbringsel ist bislang der Chefdramaturg Oliver Reese. Ansonsten bat Wilms bei der Pressekonferenz um Geduld, „viel Geduld“. Das Maxim Gorki Theater will er als Schauspielertheater weiterführen, deswegen gibt es im Dezember auch eine veritable Oper, Webers „Freischütz“, weil viele Schauspieler so gerne singen. Für gehobene Unterhaltung sorgt Dorothy Parkers „Menschen im Hotel“ – die Eröffnungspremiere, Regie: Klaus Emmerich. Was noch? Russische Dramatik soll gepflegt werden, Ostrowskijs böse und uralte Komödie um die Macht des Geldes, „Wölfe und Schafe“, wird im Februar gezeigt, in der Studiobühne unternimmt man den Versuch, die von Swetlana Alexijewitsch aufgezeichneten (und soeben auf deutsch erschienenen) Geschichten von russischen Selbstmördern zu dramatisieren – das einzig originelle Projekt dieses Spielplans. Und Langhoff inszeniert erstmals Beckett, mit Albert Hetterle als Krapp. Auch Rolf Winkelgrund ist noch dabei mit einem O'Neill, und Schaubühnen-Schauspieler Peter Fitz erstinszeniert „Schneider und Schuster“ von Sobol. Und „in Zeiten, in denen ein Begriff wie ,Auschwitzlüge‘ tatsächlich die Gerichte beschäftigen muß“ (Reese), wird „Die Ermittlung“ von Peter Weiss aufgeführt. Eine bunte Mischung eben, für ein großstädtisches Abonnentenpublikum. Mehr geht vorerst scheinbar nicht, allenfalls ein neues Ostberliner Stück von Thomas Oberender im Studio. Am besten, wir sitzen alles aus und warten auf die Spielzeit 1995/96, wenn eine wirkliche Konfrontation mit einem richtigen Intendanten beginnen kann. Petra Kohse
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