Vom Kleinkrieg politischer Querelen entfernt

■ Der Präsident der vereinigten Akademie der Künste, Walter Jens: SED-Vergangenheit bei erster Tagung kein Thema mehr – auf dem Weg zu einer toleranten Institution

taz: Die Akademie trifft sich zur ersten Tagung nach der Vereinigung der beiden Akademien, die unter Austritten und langem Streit zustande kam. Sind die Probleme der Vereinigung überwunden?

Walter Jens: Ja, in jeder Weise. Das hat gerade die Ausstellung „X 94“ gezeigt, wo wir junge Kunst zeigten und Altes und Neues mit beachtlichem Erfolg miteinander verbanden. Wenn die Künstler aus Berlin und aller Welt sich trafen, dann lag diese Frage West und Ost weit, weit hinter uns. Noch sind Narben vorhanden. Schließlich sind manche bedeutende Mitglieder ausgetreten. So schnell heilen Wunden nicht. Wir sind jetzt endlich wieder auf unserem eigentlichen Feld tätig, nämlich der Kunst und Kultur. Aus dem Kleinkrieg politischer Querelen haben wir uns entfernt.

Welche Ergebnisse hat der Ehrenrat vorgelegt, der Belastungen der übernommenen Ost-Mitglieder untersuchen sollte?

Bis jetzt hatte der Ehrenrat noch keinen Grund, aktiv zu werden. Es gibt zwar Vorwürfe, aber keine substantiell belegbaren Hinweise, die den Ehrenrat zu einem zugleich wohlabgewogenen und entschiedenen Vorgehen veranlassen könnten. Es gab den Fall Manfred Wekwerth, der aber hat von sich aus in einer noblen Geste seinen Rücktritt angeboten. Wir haben ihn angenommen.

Was ist mit dem langjährigen Vizepräsident der Ost-Akademie, Robert Weimann, den Kritiker als SED-Chefideologen bezeichnen?

Ich kann Ihnen sagen, was mit ihm ist: Robert Weimann, einer der bedeutendsten Shakespeare- Forscher unserer Zeit und ein Anglist von Weltruf, ist gegenwärtig als Gastprofessor in den Vereinigten Staaten tätig. C'est tout.

Man hat den Eindruck, daß die Akademie derzeit nicht das Gewicht hat in den politischen Debatten, die sie haben könnte.

Ich bin da anderer Ansicht, gerade in Hinblick auf „X 94“, und kann in keiner Weise der Behauptung zustimmen, daß wir einflußlos sind. Natürlich können wir als Künstler nur indirekt wirken – aber verläßlich. Es bahnt sich beispielsweise eine Kooperation zwischen der Akademie der Künste und der Akademie der Wissenschaften an. Im nächsten Frühjahr findet eine gemeinsame Konferenz statt über das Thema, was die Antike in dieser Zeit noch zu bedeuten hat, nicht zuletzt in der Literatur. In der DDR-Literatur spielten Figuren des klassischen Mythos – ich denke an Arbeiten von Heiner Müller oder Christa Wolf – eine ganz außerordentliche Rolle. Sklavensprache oder Rückgriff auf ein verbindliches Menschenbild, das wird zu fragen sein. Wohin unser Weg geht, das werden die Zuwahlen zeigen. Wir werden, dem neuen Akademie-Gesetz entsprechend, wesentlich mehr Mitglieder als bisher aufnehmen. Nicht zuletzt deshalb wird die Akademie bleiben, was sie in ihren besten Zeiten immer war – weltläufig, tolerant und liberal, eine humane Streitkultur befördernd. Darüber hinaus hoffnungsvoll, aber auch selbstkritisch.

Sie sind Mitglied sowohl der West- als auch – seit 1986 – Mitglied der Ost-Akademie gewesen. Ich finde es keine glückliche Lösung, wenn Sie in Hinblick auf die 300-Jahr-Feier die Geschichte der beiden Nachkriegsakademien schreiben.

Ich war Mitglied beider Akademien, wie auch mein Vorvorgänger Boris Blacher. Zur Ost-Akademie gehörten auch Erwin Piscator, Alfred Döblin, Peter Weiss, und Thomas Mann war Ehrenmitglied.

... aber auch viele SED-Kunstfunktionäre ...

Gewiß. Aber ich wurde zusammen gewählt mit Margarethe von Trotta, Ernst Jandl, Aribert Reimann und anderen. Alle sowenig wie ich Vertreter des Kommunismus. Was das Jubiläum von 1996 angeht, so reizt es mich schon, die Geschichte der Akademie von der Gründung an zumindest in ihren Highlights zu beschreiben. Der Zeit nach 1945 wird sich, hoffe ich, meine Frau annehmen können, die aufgrund ihrer Forschungen dafür qualifiziert ist.

Sie haben keine Sorge, daß man Sie zichtigen könnte, das sei dann keine kritische Aufarbeitung der Akademiegeschichte?

Ich habe ein 50jähriges Wissenschaftlerleben hinter mir, und wenn ich nicht die Sicherheit hätte, die Akademie-Geschichte objektiv darstellen zu können, würde ich mich der Aufgabe nicht stellen. Wenn es ein Bedenken gibt, dann allenfalls dies, daß ich die Geschichte der Vereinigung unter meiner Ägide eher zu kritisch als zu positiv darstellen würde. Ein Höchstmaß an Selbstkritik ist in diesem Fall wohl die selbstverständlichste Sache. Man darf nicht vergessen, daß die West-Akademie eine Gründung des Kalten Krieges war, sich dann freilich mehr und mehr zu einer liberalen und pluralistischen Institution entwickelte. Gespräch: Gerd Nowakowski