: Ein unsympathischer Psychopath
■ Verboten: Eine Therapeutin liebt ihren Patienten Richard „Mr. Jones“ Gere
Im Hollywoodkino gibt es zwei Sorten von psychisch Kranken: die bösen und die lieben. Daß beide Gruppen an den gleichen Krankheiten leiden, kommt weder den Machern noch dem Publikum in den Sinn. Auf der einen Seite gibt es Typen wie Norman Bates, Hannibal Lecter oder Colonel Kurtz: Massenmörder, Wahnsinnige und gefährliche Psychopathen, vor denen die Helden gerettet oder die in letzter Sekunde als Täter überführt werden müssen, damit kein Unschuldiger bestraft wird. Der Film interessiert sich nur für ihre Opfer oder für ihre Verfolger. Wenn psychisch Kranke hingegen ins Zentrum des Geschehens rücken, dann sind sie meist harmlos. Aggressiv vielleicht, niemals mörderisch, höchstens selbstzerstörerisch. Ob in „Einer flog über das Kuckucksnest“, in „Rain Man“ oder „Awakenings“: meist sind die Kranken Psychiatrie-Patienten, deren Heilungsprozeß von Therapeuten, Familienmitgliedern, liebenden Frauen und der Kamera geduldig verfolgt wird. Dabei fällt der humane Blick auf die nicht Normalen meist so menschelnd aus, daß sich die Moral all dieser Geschichten – wir Gesunden sind mindestens genauso krank – problemlos schlucken läßt. So sanft, wie Dustin Hoffman den Autisten gibt, oder so kindlich-lieb, wie Robert de Niro verrückt spielt, möchten wir gern auch sein.
Der Held von Mike Figgis' neuestem Film nennt sich selbst „Mr. Jones“: ein Manisch-Depressiver, der seine Lithium-Pillen wegwirft, weil er die euphorischen Phasen braucht wie ein Junkie die Droge. Dafür nimmt er sogar die selbstmörderischen Tiefs in Kauf. Mr. Jones ist hochintelligent, vielleicht war er mal Komponist, er kann Klavier spielen, Beethoven dirigieren, durchschaut jedes Gegenüber, pfeift beim Radfahren, hält sich für unsterblich, will vom Dachfirst „fliegen“ und hat, wenn er manisch ist, unerträglich gute Laune. „I feel good“, singt James Brown fröhlich zu der Show, die Mr. Jones unentwegt abzieht, und spätestens nach zehn Minuten möchte man ihm den Hals umdrehen.
Mr. Jones hat das Zeug zu einem Psychopathen, wie es ihn im Mainstream-Kino bisher nicht gab: einem unsympathischen. Dummerweise wird er von Richard Gere gespielt, der sich ohnehin in jeder Rolle eine Spur zu smart ausnimmt; und leider gerät Mr. Jones in die Hände von Libbie (Lena Olin), die sich als verständnisvolle Therapeutin und einsame Schönheit in ihn verliebt. So erfahren wir nichts über die mysteriöse Vergangenheit des Helden, die eine Kinostunde lang übereifrig angedeutet wird, auch nichts über die Motive, die ihn in letzter Sekunde vom „Fliegen“ abhalten. Ein Hollywoodfilm endet nun mal nicht mit einem Selbstmord und damit basta. Und so läuft es auch diesmal darauf hinaus, daß eine „Normale“ sich am „Verrückten“ ein Beispiel nimmt, wegen der Lebensfreude, der Leidenschaften, der Ehrlichkeit usw.
Bevor beim Showdown auf dem Dachfirst die Liebe siegen kann, muß sich erst noch die kleine Asiatin Amanda das Leben nehmen. Der Selbstmord ihrer Patientin bringt Libbie zur Einsicht wider den hippokratischen Eid. Hinter dem scheinbar skandalträchtigen Plot – Theraupeutin liebt Patient: von der American Psychiatric Association streng verboten – tritt ein dramaturgisches Klischee zutage: Für das Überleben eines Mannes wird eine Frau (Amanda) geopfert, und eine andere (Libbie) gibt ihren Beruf auf.
Wirklich gelungen ist an dieser Kreuzung zwischen „Arizona Dream“ und „Herr der Gezeiten“ eine einzige Dialogzeile: „Schlucken Sie Ihre Pillen, zahlen Sie Ihre Steuern, und verwenden Sie Zahnseide.“ Trefflicher wird der Appell, nur ja nicht aus der Reihe zu tanzen, im Kino selten formuliert. Christiane Peitz
Mike Figgis: „Mr.Jones“. Mit Richard Gere, Lena Olin, Anne Bancroft u.a. USA 1993, 105 Min.
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