■ World-Trade-Center-Attentäter verurteilt
: Urteilsrezeption an Teehaustischen

Die Szene im New Yorker Geschworenengericht war bizarr: Richter Kevin Duffy – US-Amerikaner – auf der einen Seite sowie die Angeklagten Mohammed Salameh, Nidal Ayyad, Mahmud Abu Halima und Ahmad Ajaj – Araber mit unterschiedlicher Staatsbürgerschaft – auf der anderen warfen sich abwechselnd Koranzitate und Schmähungen an den Kopf. Schließlich hielt der Christ Duffy einem der allesamt muslimischen Angeklagten vor: „Welches Recht haben Sie, über den Islam zu sprechen. Sie haben ihn beschmutzt!“ Anschließend verurteilte er alle vier zu je 240 Jahren Haft.

Nach Bekanntwerden des Strafmaßes dürfte an den orientalischen Varianten unserer Stammtische endgültig die These Lufthoheit erreichen, wonach „der Westen“ den Arabern/Muslimen sowieso nur Übles wolle. „Ereignisse“ wie der letzte Golfkrieg und das halbherzige internationale Interesse am Schicksal der bosnischen Muslime haben diesem Ergebnis beträchtlich vorgearbeitet.

Alle Angeklagten bestritten zwar, an der Tat beteiligt gewesen zu sein, jedoch nähren ihre Auslassungen und die vorgelegten Indizien die Annahme, daß sie den Anschlag begangen haben, und zwar als „Widerstand“ gegen die US-Außenpolitik – besonders gegen die im Nahen Osten. Einer der Angeklagten reizte den Richter durch ein langes Lamento über in den letzten Jahrzehnten von US-Regierungen zu verantwortende Schweinereien. Ein anderer ließ sich über die „zionistische Verschwörung“ aus.

Die Höhe des Strafmaßes und dessen „mathematische“ Begründung machen es leicht, das Urteil als Exempel eines (westlichen) Gerichts, gegen (arabische/ muslimische) Angeklagte zu interpretieren. Bei nüchterner Betrachtung zeigt sich, daß das Urteil sehr US- amerikanische Befindlichkeiten widerspiegelt. Die Bombe war der größte Sprengsatz, der bisher von ausländischen Terroristen auf US-Boden gezündet wurde. Bis zum 26. Februar 1993 waren US-Bürger mit terroristischen Anschlägen fast nur außerhalb ihrer Heimat konfrontiert gewesen. Und: Ausschließlich Zufälle waren dafür verantwortlich, daß die Explosion „nur“ sechs Todesopfer forderte – über tausend hätten es sein können, und Indizien sprechen dafür, daß die Attentäter dies auch einkalkulierten. Die New YorkerInnen wurden durch die Explosion der Gefahr gewahr, die besteht, wenn die verschiedensten Gruppierungen in der Millionenstadt politische Konflikte militant austragen. Das Urteil reflektiert diese Angst. An den Teehaustischen wird dieser Umstand wohl kaum Beachtung finden. Thomas Dreger