Geduldete Besetzer

■ Seit zwei Jahren klagen Eigentümer auf Räumung der letzten besetzten Häuser Westberlins / Langwierige Prozesse

Gestern verhandelte die 61. Zivilkammer des Landgerichts Berlin zum vierten Mal über die Räumungsklage der Eigentümerfirma „Henning van Harlessem“ gegen die Besetzer der Charlottenburger Marchstraße 6 und des Einsteinufers 23. Die Entscheidung über die letzten besetzten Häuser im Westteil der Stadt wurde gestern allerdings nicht mehr bekanntgegeben. Unbeantwortet blieb damit zunächst die Frage, ob eine exemplarische Räumungsklage gegen drei Bewohner die gesamtschuldnerische Räumung der übrigen Wohnungen bedeutet.

Ebenso offen blieb, ob die Bewohner der seit dem Frühjahr 1989 besetzten Häuser von den Eigentümern zunächst nur geduldet wurden. Mit diesem für die Bewohner entscheidenden Punkt tun sich seit nunmehr zwei Jahren sowohl das Amts- als auch das Landgericht schwer.

Der erste Räumungsprozeß endete im Oktober 1992 mit einem Erfolg für die Besetzer. Eine Pauschalanklage gegen alle polizeilich in den Häusern gemeldeten Personen, hieß es beim Amtsgericht Charlottenburg, sei nicht zulässig. Daraufhin baten die Eigentümer die Polizei um Amtshilfe. Obwohl in der Polizeiführung umstritten, durchsuchten daraufhin im Juni vergangenen Jahres 500 Polizeibeamte die besetzten Häuser, um den Eigentümern die Identifizierung der tatsächlich dort lebenden Personen zu erleichtern. Im September 1993 begann dann vor dem Landgericht der Berufungsprozeß. Während die Besetzer betonen, daß bei einer baupolizeilichen Begehung im Juli 1989 ein Vertreter der Eigentümer eine Duldung ausgesprochen habe, wies dieser gestern eine solche Aussage zurück. Er habe lediglich gesagt, daß er davon ausgehe, daß die Besetzer nach der Begehung ohnehin wieder in die Häuser zurückgehen würden. Eine Vereinbarung, daß die Besetzer mit Zustimmung des Eigentümers nach Behebung der wesentlichen Mängel die Gebäude weiter nutzen könnten, habe es mit ihm nicht gegeben.

Die Häuser Marchstraße 6 und Einsteinufer 23 waren im März 1989 unter dem rot-grünen Senat besetzt worden. Ein Räumungsantrag wurde kurz darauf von den Eigentümern nach Intervention des Charlottenburger Bezirksamts zurückgezogen: Bezirk wie Senat hatten sich darauf geeinigt, statt eines von der „Henning van Harlessem“ geplanten Rechenzentrums das Konzept der Besetzer (Erhalt billigen Wohnraums sowie den Bau von Studentenwohnungen) zu unterstützen. Ein weiterer Versuch, die Gebäude von der Polizei räumen zu lassen, war vom damaligen Innensenator Erich Pätzold (SPD) schließlich mit dem Argument abgelehnt worden, daß bei einer bisherigen Duldung der Besetzer den Eigentümern einzig der Weg einer zivilen Räumungsklage übrigbleibe.

Nach wie vor offen ist noch, was die Eigentümer auf dem Gelände planen. Das ursprünglich vorgesehene Rechenzentrum wurde längst andernorts gebaut. Uwe Rada