■ betr.: Ethische Prinzipien kommen in Mode“, taz vom 13.5.94

Mit dieser Schlagzeile liegt die Autorin des Beitrages so daneben, wie es deutlicher kaum gejht. Das absolute Gegenteil ist eingetreten: die überwältigende Mehrheit der Delegierten stimmte gegen eine Stärkung des Solidarprinzips, Standesdünkel war in.

Während die Arbeitslosigkeit faktisch die 6 Millionengrenze erreicht hat, die Obdachlosigkeit deutlich über 600.000 Menschen betrifft und Armut für immer mehr Familien zum unentrinnbaren Schicksal geworden ist, fordern die deutschen Ärzte eine Finanzierung nur noch des „medizinisch Notwenidgen“, die Ausgliederung von Massagen, Kuren, sog. Bagatellarzneimittel u.v.a. aus dem Leistungskatalog der GKV. Gefordert wird mehr Eigenverantwortung für die Gesundheit, sprich mehr Selbstbeteiligung. Aus der täglichen konkreten Erfahrung in Praxis und Klinik wissen wir, wie zynisch eine solche Forderung auf chronisch Kranbke, alte und behinderte Menschen, auf sozial schwache wirkt. Soll der Diabetiker, die Dialysepatientin, der Querschnittsgelähmte auf seine lebensnotwendigen Mittel verzichten, den Rollstuhl selbstverantwortlich aus der eigenen Tasche bezahlen, das allergiekranke Kind selbstverantwortlich in eine Wohngegend ziehen, wo die Besserverdienenden schon längst saubere Luft atmen?

Den Repräsentanten der deutschen Ärzte war — wieder einmal — das Hemd näher als der Rock. Mit der Abwälzung der Lasten im Gesundheitswesen auf die Versicherten hoffen sie, die eigenen Pfründe retten zuu können. Gegen dieses Rückwärtsprogramm wirkte der CSU Gesundheitsminister Seehofer schon fast wie ein Linker, wenn er die Ärzte vor einer drohenden Zweiklassemedizin warnte.

Die Alternativen der Opposition, ihr gemeinsam mit dem Verein demokratischer Ärztinnen und Ärzte herausgegebenes KÖLNER MANIFEST: GESUNDHEITSVERSORGUNG SOZIALVERANTWORTLCH GESTALTEN (der Text liegt der Redaktion vor) hatte in einer solchen Atmosphäre keine Chance. Auch nicht bei dem ehemals als enfant terrible verschrieenen Berliner Ärztekammerpräsidenten Ellis Huber. „Heute ist meine Meinung konsens“ konstatierte er auf einer Pressekonferenz und unterschlug dabei die Gegenstimmen der linken Ärzteopposition gegen das von ihm entscheidend mitgestaltete sog. Blaue Papier. Den Preis, den er für den Schulterschluß mit der Ärztemehrheit bereit war zu zahlen vergaß er auch zu nennen: Standespolitik vor Solidarprinzip. Dr. med. Winfried Beck, Offenbach