piwik no script img

Ankara bekämpft die Wehrkraftzersetzer

Drei deutsche Kriegsdienstgegner, die zu einer Informationsveranstaltung in die Türkei gereist waren, sollen vor ein Militärgericht / Ihren türkischen Freunden drohen hohe Strafen  ■ Aus Istanbul Ömer Erzeren

Der Oberstleutnant der Reserve Volker Thomas von der bundeswehrkritischen Gruppe „Darmstädter Signal“ und die DFG-VK Mitglieder Gernot Lennart und Christian Axnick werden frühestens nächste Woche vor ein Militärgericht in Ankara gestellt. Die Pässe wurden den drei Deutschen entzogen, und sie haben Ausreiseverbot. Sie wurden vergangene Woche nach einer Pressekonferenz des türkischen „Vereins der Kriegsgegner“ festgenommen und waren über Nacht in Polizeihaft. Polizisten und der Staatsanwalt des Staatssicherheitsgerichtes Istanbul wollten genau wissen, warum die deutschen Kriegsgegner in die Türkei gekommen waren. Schließlich entschied die Staatsanwaltschaft des Staatssicherheitsgerichtes, daß die Deutschen wegen Wehrkraftzersetzung einem türkischen Militärgericht überstellt werden müssen. Den Angeklagten droht eine Gefängnisstrafe bis zu zwei Jahren. In Paragraph 155 des türkischen Strafgesetzbuches heißt es: „Personen, die das Volk gegenüber dem Militärdienst entfremden oder bei öffentlichen Versammlungen diesbezügliche Reden halten, werden mit einer Haftstrafe von 2 Monaten bis zu 2 Jahren bestraft.“

Die harmlose Pressekonferenz ist ihnen in der Türkei, wo es kein Recht auf Kriegsdienstverweigerung gibt, zum Verhängnis geworden. Axnick zuckt mit den Schultern: „Wir haben auf einer Pressekonferenz eines legalen Vereins über die rechtliche Situation in anderen Ländern berichtet. Es ist ein Ding der Unmöglichkeit, daraus staatsgefährdende Aktivitäten abzuleiten.“

In dem Beschluß des Staatsanwaltes, den Fall an ein Militärgericht zu überweisen, heißt es: „Das Verhalten der Angeklagten ist darauf ausgerichtet, den Gedanken vorzutragen, daß der bewaffnete Kampf des türkischen Staates gegen den Terrorismus in Ost- und Südostanatolien nicht rechtens und mit dem Gewissen nicht zu vereinbaren ist und verfolgt das Ziel der Wehrkraftzersetzung.“

„Verbrechen gegen den Staat“

Der Staatsanwalt des Staatssicherheitsgerichtes, der zuständig für „Verbrechen gegen den Staat“ ist, hat die Pressekonferenz sofort in den politischen Kontext gestellt. Ohne Umschweife kommt er auf den dreckigen Krieg in den kurdischen Regionen. Verräterisch ist die Formulierung vom „bewaffneten Kampf des Staates“. Es ist zwar recht wahrscheinlich, daß das Verfahren gegen die Deutschen eingestellt wird. Doch die vier türkischen Kriegsgegner, die wegen derselben Pressekonferenz angeklagt werden, sind extrem gefährdet. Sie befinden sich in Untersuchungshaft. Neben dem Prozeß wegen Wehrkraftzersetzung läuft gegen sie ein Prozeß wegen Durchführung einer „illegalen Demonstration“. Der Vorsitzende des türkischen „Vereins der Kriegsgegner“, Arif Hikmet Iyidogan, der jetzt in Untersuchungshaft ist, war schon seit der Vereinsgründung im vergangenen Herbst mehrfach festgenommen worden.

Die harte Linie des Staates ist Ergebnis der militärischen Eskalation in den kurdischen Regionen. Die „Ausmerzung der kurdischen Guerilleros“ ist erklärtes Ziel des Generalstabes. Selbst leise Kritik wird nicht mehr geduldet. Zivilisten werden vor Militärgerichte gezerrt. Jüngst verurteilte ein Militärgericht in Ankara zwei Journalisten, die einen Kriegsdienstgegner interviewt hatten, zu zwei Monaten Haft. Im Februar verabschiedete das türkische Parlament ein Gesetz, wonach Fahnenflüchtige mit Gefängnis bis zu drei Jahren bestraft werden. Nach offiziellen Schätzungen gibt es rund 250.000 Fahnenflüchtige.

Doch die Kriegsgegner in der Türkei, darunter viele Frauen, machen weiter. „Jeden Tag sterben in Kurdistan Menschen“, sagt Ayse Erol. Die ebenfalls im „Verein der Kriegsgegner“ aktive Lehrerin Fatma Güresin sagt, „es muß eine politische Lösung in der kurdischen Frage gefunden werden“.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen