Skinheads zu Haftstrafen verurteilt

■ Landgericht Kiel geht über Anträge der Staatsanwälte hinaus / Skins hatten Busfahrer mit Messer angegriffen

Kiel (taz) – „Die Strafkammer hat sich nicht von der zur Zeit laufenden Diskussion unter Druck setzen lassen“, betonte der Vorsitzende Richter der Zweiten Strafkammer des Kieler Landgerichtes. Dennoch ist das Gericht über das von der Staatsanwaltschaft beantragte Strafmaß gegen einen Skinhead, der sich im Gerichtssaal zum Nationalsozialismus bekannt hatte, hinausgegangen. Wegen gefährlicher Körperverletzung und Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen wurde der 20jährige Peter Borchert gestern zu einer Jugendstrafe von drei Jahren und neun Monaten Haft verurteilt.

Der Staatsanwalt hatte eine Haftstrafe von zweieinhalb Jahren gefordert. Einen mitangeklagten Skinhead verurteilte das Gericht zu 16 Monaten ohne Bewährung und einen weiteren Beschuldigten zu einer Bewährungszeit von zwei Jahren mit einer Arbeitsauflage.

Das Gericht befand Borchert für schuldig, einen Busfahrer und einen Gast einer Hochzeitsgesellschaft schwer verletzt zu haben. Im Februar hatte Borchert bei einer nächtlichen Busfahrt mit anderen Skins den Busfahrer mit einem Messer angegriffen, ihm eine Fingerkuppe abgeschnitten und tiefe Schnittwunden an den Beinen zugefügt. Der Busfahrer war einem sudanesischen Stundenten zu Hilfe gekommen, den die Skins angerempelt und Parolen wie „Nigger, go home! Ausländer raus“ zugerufen hatten. Der Fahrer war von Schleswig-Holsteins Ministerpräsidentin mit der Rettungsmedaille ausgezeichnet worden.

Wenige Tage später überfielen alle drei Beschuldigten, bewaffnet mit Gaspistolen und einem Messer, eine Feier, von der sie annahmen, es sei ein türkisches Hochzeitsfest. Zuvor hatten sie Aufkleber mit Hakenkreuz und der Parole „Die Juden sind unser Unglück“ an das Gebäude geklebt. Borchert schoß einem Gast mit der Pistole ins Gesicht und verletzte ihn mit dem Messer lebensgefährlich. Zwei andere Gäste wurden durch Schüsse der anderen beiden ebenfalls im Gesicht verletzt.

Während der Hauptverhandlung hatte Borchert dreist behauptet, der Gast und der Busfahrer seien selbst schuld an ihren Verletzungen gewesen. Er habe sich bedroht gefühlt und sich verteidigen wollen, verkündete der 20jährige, der auf seinen Händen „Sieg Heil“ eintätowiert hat. Versuchte Tötung, die Borchert in der Anklage ebenfalls vorgeworfen worden war, konnte nicht nachgewiesen werden, da unklar geblieben sei, ob Borchert den Satz „Ich stech' dich tot“ wirklich gesagt habe, meinte der Richter.

Der Eindruck, daß sich eine homogene Gruppe von Rechtsradikalen zweier Kapitalverbrechen schuldig gemacht habe, habe nicht aufrechterhalten werden können, hieß es in der Urteilsbegründung. Die gravierendsten Taten habe der 20jährige Borchert, den der Richter als eine Person mit hoher Konflikt- und Gewaltbereitschaft sowie einer narzißtischen Grundhaltung beschrieb, begangen. „Die rechtsextreme Grundhaltung ist bei der Strafzumessung nicht berücksichtigt worden.“ Strafrechtlich sei eine Gesinnung ohne Belang. Die Tat Borcherts habe zudem nur mittelbar etwas mit seiner rechtsradikalen Einstellung zu tun, sondern sei in seiner Person begründet. Die Schuld von Borchert wiege aber schwer, weil er Wiederholungstäter sei, so der Richter. Borchert war bereits 1990 zu drei Jahren Jugendstrafe wegen einer Messerstecherei verurteilt worden und hatte die gesamte Zeit hinter Gittern gesessen, weil er sich weigerte, Auflagen wie den Beginn einer Ausbildung und einer Therapie zu akzeptieren. „Die erste Haft hat erzieherisch nichts genützt“, meinte der Richter. Wenn Borchert nach seiner Haft erneut straffällig werde, drohe ihm Sicherungsverwahrung. Kersten Kampe